Ein Beitrag von olim devona
Es ist Abend. Irgendwann im August 2010. Ich bin gerade in Mazar-e Sharif im Norden Afghanistans angekommen und habe hier nach längerem Suchen eine angenehme Bleibe gefunden. Nun leg ich mich aufs Hotelbett, zücke mein Mobiltelefon und schalte das Radio ein.
Automatische Sendewahl, denke ich mir. Mal sehen was so läuft:
88, 2, der erste Sender, indische Musik,
88.4, der zweite Sender, eher Musik aus der traditionellen afghanischen Ecke,
88.6 das nächste, turksprachige Programm, usbekische Musik.
Wow, denke ich, krasse Sendedichte. Das geht weiter so die gesamte Skale bis 106 hoch. Sender an Sender, und das in einer Stadt, die zwar die zweit oder dritt größte Stadt des Landes ist, in ihrer Bedeutung jedoch weit hinter Kabul zurücksteht.
Afghanistan hat seit dem Rückzug der Taliban 2001 eine der liberalsten Medienlandschaften, kein Vergleich zu den neuen Nationalstaaten im Norden, kein Vergleich zum Iran. Auch wenn in Afghanistan seit 2001 auch schon einige Journalisten gestorben sind, agieren hier inländische Nachrichtenagenturen, Presse und vor allem das Radio relativ frei.
Im Laufe meines Aufenthaltes in der Stadt lernte ich dann auch zwei Journalisten kennen. Auf meine Frage, für wen und was sie arbeiteten, meinten sie: das Radio. Ahmad arbeitete beim Frauenradio Robia Balkhi, Zelina bei der turkmenischsprachigen Abteilung von 89,55. Aha, dachte ich, hier schließt sich also der Kreis, die vielen Radiosender in der Stadt, für die meine 10 Senderspeicherplätze im Telefon einfach zu wenig waren und das gehäufte Auftreten von Radiojournalisten.
Beide Journalisten, Ahmad und Zelina bat ich zum Gespräch und fragte sie nach der Medienlandschaft aus. Ich sprach meine Verwunderung darüber aus, wie schnell es die Afghanen geschafft haben, eine freie Medienlandschaft aufzubauen. Frei? meinten sie, frei seien die Medien nur theoretisch, wovor sie alle Angst haben, ist nicht die Gegenwart, sondern die Zukunft. Wenn die Taliban wiederkommen, gehe es allen Journalisten an den Kragen. Davor haben sie alle Angst. Naja, die ersten, die dran sein würden, wären die im Fernsehen Agierenden, vom Nachrichtensprecher bis zum Straßenreporter. Von denen kenne jeder das Gesicht, vor allem die Frauen seien sehr mutig, wenn sie sich vor die Kamera stellten. Auch die Zeitungsjournalisten seien gefährdet. Im Falle der Machtübernahme sind hier die Namen bekannt. Einzig das Radio biete einen gewissen Schutz, das einzige, das hier bekannt wird, ist die Stimme. Namen würden häufig gar nicht genannt. Gerade Frauen würden hier besser geschützt sein.
So arbeiten also viele Journalisten in Afghanistan derzeit für das Radio. Für die junge Generation ist es häufig der Einstieg ins journalistische Geschäft überhaupt. Eine Story sei schneller erzählt als geschrieben, das Leiten einer Sendung mit Hörerbeteiligung ist einfacher als das redaktionelle Bearbeiten einer Sparte in den Tageszeitungen. Und man könne im Verborgenen arbeiten, eine der angenehmsten Eigenschaften, die das Radio besässe.
Nach dem Gespräch legte ich mich am Abend wieder auf mein Hotelbett und schaltete das Radio ein. In Radio City lief gerade eine Sendung ohne jegliche Tabus, ein anderes Format hieß die Stadtverstörung. Heute abend wollten sie alle anscheinend irgendwie die Stadt schocken. Ein Grund mehr, zu hoffen, dass all diese Radio- und nicht Radio- Journalisten den Taliban niemals in die Hände fallen mögen.
Dieser Beitrag ist das Manuskript für einen Radiobeitrag, der am 28.11. bei Radio Blau gesendet wurde. Er ist auf dem Blog der Radiosendung nachzuhören.
Wer im stream zwei dieser Sender hören will:
Hier der stream von Arman FM
Hier der stream von Ariana FM (über einen media player öffnen)
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