Viagra in der Warteschleife

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Eigentlich sollte sich diese Geschichte um Viagra und Afghanistan drehen. Ein Freund in Kabul hatte in Gegenwart eines Bekannten seinen Wunsch nach dem Potenzmittel geäußert und ich hatte von einem befreundeten Arzt ein Rezept für das Medikament bekommen. Mit Spannung wurde mein Bericht über die Übergabe dieses Gastgeschenkes und die Reaktionen darauf von meinem deutschen Bekanntenkreis erwartet. Ich wollte die Packung Viagra kurz vor meinem Abflug in Frankfurt besorgen. Dies fiel mir leider erst wieder ein, nachdem ich eingecheckt hatte und in der Wartehalle auf meinen Abflug wartete. Wie sich während des Aufenthalts in Kabul zeigte, wäre Viagra durchaus ein willkommenes Gastgeschenk gewesen. Aber leider kann ich an dieser Stelle nicht darüber berichten, wie sich die Übergabe des Hilfsmittels gestaltete, welche Reaktionen sie hervorrief und welche Auswirkungen dies auf den Aufenthalt und meinen Freund hatte.

Was sich als Muster dieses wie auch des letzten Aufenthaltes in Kabul erwies, war, dass Warten ein integraler Bestandteil, wenn nicht sogar der Normalzustand des Lebens vieler Menschen in Afghanistan ist. Beide Male warteten verschiedene Besucher meines Gastgebers, eines Parlamentariers aus der Provinz, auf ein Treffen mit Karzai oder mit dem Außenminister, meist über Monate und ohne Erfolg. “Warten auf Karzei” wurde so zum Synonym unerfüllter Hoffnungen und zum Gegenstand von Witzen über die Erfolglosigkeit der jeweiligen Aspiranten.

Dieses Mal wartete auch mein Gastgeber auf einen Flug in seine Provinz, um die Kampagne für seine Wiederwahl zu beginnen. Auf dem Landweg sind viele Regionen ohne das Risiko, auf der Strecke getötet zu werden, auch für die Bewohner Afghanistans nicht mehr zu erreichen. Dies gilt besonders für diejenigen, die in staatlichen Ämtern arbeiten oder in der Politik aktiv sind. In einige Provinzen sind Flüge äußerst unregelmäßig und fallen oft technik- und wetterbedingt aus. So kann sich ein kurzer Amtsbesuch in Kabul zu einem mehrmonatigen Aufenthalt ausdehnen. Andersherum wartete mein Gastgeber seit mehr als einem Monat auf den Flug in seinen Wahlbezirk. Von den Betroffenen wird das Warten oft als weniger dramatisch wahrgenommen, als dies für den von verlässlichen Flugplänen Verwöhnten klingen mag. Ein Vulkanausbruch, der den Flugplan lahm legt, kann vermutlich afghanische Gemüter nicht ernsthaft tangieren, da ein Flugplan nicht als etwas fest Geschriebenes betrachtet wird.

So zitiert ein belutschischer Freund gern einen Vertreter der Taliban, der gesagt haben soll: “Ihr habt Uhren und wir haben Zeit.” Zeit wurde in meiner Umgebung als eine nahezu unbegrenzte Ressource betrachtet, innerhalb derer man sich in sein Schicksal fügt. Während ich zu verzweifeln drohte, als wieder einmal ein Flug nicht zu Stande kam, nahm mein Gastgeber, dessen politische Karriere von seiner Kampagne in der Provinz abhing, dies gelassen hin. Die Wartezeit wird so nicht als belastend, sondern als ein gottgebener Normalzustand betrachtet. Innerhalb der Wartezeit werden oft die wesentlichen Dinge untereinander besprochen und sie liefert dem Ethnologen ein reichhaltiges Material zu sozialer Praxis.

Auch nach einem Selbstmordanschlag vor unserem Hausblock, verbrachten meine Gastgeber und ich die folgenden zwei Tage bis nach der Kabulkonferenz zu Hause mit dem Warten auf Sicherheit. Eine ähnliche Situation wurde durch einen Autounfall eines amerikanischen Fahrzeuges mit einem einheimischen Auto unweit unseres Hauses ausgelöst, bei dem vier Menschen zu Tode kamen (den genauen Hergang kann ich nicht wiedergeben, da die verschiedensten Versionen darüber kursierten): Es folgten Schüsse über einige Stunden; währenddessen verharrten wir zu Hause. Die Normalität wurde erst wieder durch die vertrauten Melodien der Eisverkäufer (“Für Elise” oder “Titanic”) eingeläutet.

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Auch ich musste mich in vielen Hinsichten dem Diktat des Wartens unterwerfen: Ich wartete einen Monat auf eine Landkarte meiner Forschungsregion, die man mir in einer NGO “schnell” ausdrucken wollte. Offenbar haben sich auch Bereiche des internationalen Sektors in Kabul auch eine veränderte Wahrnehmung von Zeiträumen zu Eigen gemacht. Auf einen Flug in meine Forschungsregion wartete ich während meines ersten Aufenthaltes in Kabul mehr als einen Monat. Beim nächsten Besuch wartete ich mehrere Wochen und anschließend auf meinen Koffer, der nie ankam. Geduld und Zeit sind meiner Erfahrung nach die entscheidenden Voraussetzungen für eine erfolgreiche Feldforschung in Afghanistan. Andererseits ergeben sich die interessantesten Situationen unerwartet und ungeplant. Gerade die Antistruktur verschafft einem die wunderbarsten Überraschungen.

In Afghanistan findet das Leben in vielerlei Hinsicht in einer Warteschleife statt, die als Normalzustand wahrgenommen wird. Dementsprechend wird mein Freund nun bis zu meinem nächsten Besuch in Kabul warten müssen, bis er in den Genuss von Viagra kommt. Er hat allerdings viele Kinder und Zeit. Die wird er auch anderweitig zu nützen wissen, denke ich, während ich auf die Uhr schaue.

Der Autor ist der Redaktion bekannt

3 Thoughts on “Viagra in der Warteschleife

  1. tut mir leid, aber ich kann nicht erkennen, wie hier der Artikel ein Aufhänger fuer die Taliban sein soll. Irgendwie gibt es das Wort nur an einer Stelle und es rekurriert auf einen tatsächlichen Ausspruch von (?) Mulla Omar (?) damals 2001 nach der Vertreibung der Taliban von der Macht in Afgh. Da meinte er im Hinblick auf die Zukunft < < Wir haben Zeit>>, wir kommen wenn die Zeit reif ist fuer uns. < > Die Taleban sind hier also kein Aufhänger, allenfalls die Zeit.

  2. Blöder Bericht mit Viagra “für taliban” als Aufhänger….
    Ãœbrigens im Nachbarland Tadshikistan gibt es rezeptfreie Viagra Generika für unter einem €. Clevere Händler bringen das mit gutem Profit bis nach Deutschland….
    ff
    D R

  3. Pingback: Readers Edition » Viagra in der Warteschleife

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