Alle reden über die Taliban – aber kaum einer traut sich zu ihnen hin

Die Taliban oder “Neo-Taliban”, wie sie seit einiger Zeit in Wissenschaftskreisen genannt werden, erfreuen sich seit einiger Zeit großer publizistischer Aufmerksamkeit. Vom 26.-28. März findet in Bonn die wissenschaftliche Tagung “Wer sind die Taliban?” die gemeinsam von der Evangelischen Akademie des Rheinlands, der Aga (Arbeitsgemeinschaft Afghanistan) und dem Zentrum für Entwicklungsforschung ausgerichtet wird. Neben Thomas Ruttig, der über die Organisationsstruktur der Taliban sprechen wird, sind an den beiden Konferenztagen 20 weitere Vorträge zum Phänomen Taliban vorgesehen.

Es bleibt abzuwarten, wieviel neues wir in diesen Tagen über die/von den Taliban tatsächlich erfahren. Da es an Ansichten aus der Innenperspektive der Taliban seit jeher mangelt, wird wohl wieder vieles sehr spekulativ bleiben.

Auf der Seite von theunjustmedia.com, die sich zur Aufgabe gemacht haben, der westlichen Berichterstattung über Afghanistan den Blick der anderen Seite entgegenzusetzen, gibt es seit der derzeitigen Offensive namens “Mushtarak” eine interessante Einladung an (unabhängige) Berichterstatter zu lesen.

Da der Text auf der theunjustmedia-seite nicht leicht zu finden ist, gibt es den Aufruf noch einmal bei uns:

Invitation of the Islamic Emirate to (independent) Journalists to Visit Marjah Tuesday, 16 February 2010. Since the enemy have forced the international media through coercion and cash incentives to make partial reporting about (the current fighting) to make it possible to hide their shameful defeat in the Marjah area of Nad Ali district, Helmand province, therefore, the Islamic Emirate of Afghanistan requests all independent mass media outlets of the world to send their reporters to Marjah; see the situation with their own eyes and convey the facts to the public of the world. Such visit will portray the ground realities and will show who have the upper hand in the area; what are the facts and who control vast areas of Marjah? In fact, the invading forces have made no spectacular advancement since the beginning of the operations. They have descended from helicopters in limited areas of Marjah and now are under siege. The invaders are not able to come out of their ditches. Wherever they intend to move, they come under severe attacks of Mujahideen and face explosions of planted mines. Then they retreat hastily. The enemy troops have lost their morale. The local people are beholding the foreign troops crying loudly. If the coalition invading forces give permission to independent reporters, they will unearth many secrets.

Einladung des Islamischen Emirats an alle unabhängigen Journalisten: Besuchen sie Marjah! Da der Feind (die USA) die internationalen Medien durch Zwang und finanzielle Anreize zu einer teilweisen Berichterstattung über (die gegenwärtigen Kämpfe) zwingt, die es ermöglichen, ihre schändlichen Niederlage im Marjah Bereich, im Bezirk Nad Ali, der Provinz Helmand, zu verbergen, fordert das Islamische Emirat Afghanistans alle unabhängigen Massenmedien der Welt auf, ihre Reporter nach Marjah zu versenden. Sehen sie was vor sich geht mit ihren eigenen Augen und vermitteln sie dann die Fakten der Weltöffentlichkeit. Ein solcher Besuch wird den Boden der Realität darstellen und zeigen, wer die Oberhand in der Umgebung, und die Kontrolle über weite Gebiete Marjah hat? In der Tat haben die Invasoren (die westlichen Armeen) keine spektakulären Fortschritte seit Beginn der Operationen erzielt. Sie haben sich von Hubschraubern abgeseilt in einige Bereiche von Marjah und sind nun unter (unserer) Belagerung. Die Eindringlinge sind nicht in der Lage, aus ihren Gräben hervorzukommen. Überall dort, wo sie sich bewegen wollen, fallen sie unter den schweren Angriffen der Freiheitskämpfer (Mudschaheddin) und fallen durch die ausgelegten Minen. Dann ziehen sie sich hastig zurück. Die feindlichen Truppen haben ihre Moral verloren. Sehen die Bewohner Marjahs ausländischen Truppen, fangen sie an laut zu weinen. Wenn die Koalitionstruppen unabhängigen Journalisten die Erlaubnis zur Berichterstattung geben würden, könnten diese viele Geheimnisse ans Tageslicht bringen.

Wie wir erfahren haben, wird die Operation “Mushtarak” in Afghanistan auch Operation “Staub-aufwirbeln” genannt. Der Volksmund wird auch in Afghanistan immer zynischer, und hat Ähnlichkeiten mit dem Ton, den die Mujahedin in der oben abgedruckten Meldung anschlagen. So nennen die Afghanen die bewaffneten Gruppen, die mit den Amerikanern verbündet sind American Taleban.

Alle reden über Afghanistan, doch nur wenige gescheit

In Leipzig gibt es seit kurzem ein Internet Radio, Detektor fm, dass ich regelmäßig und gerne höre. Auch dieses Radio widmete sich in den letzten Tagen Afghanistan als Thema und bewies dabei in der Auswahl seiner Gesprächspartner ein außergewöhlich gutes Händchen. Denn sie haben Conrad Schetter interviewt. Und Conrad Schetter versteht es gut, Inhalte auf den Punkt zu bringen und tut dabei so, als plaudere er mit einem Studie auf dem Gang. Na, da kann ich nur sagen: Unbedingt anhören!!!

Hier gehts zum Artikel und zur Audiodatei.


Sind Afghanen Israelis? Israel will DNA-Analyse der Afridi-Paschtunen

Wie die Jerusalem Post kürzlich berichtete, ist das Israelische Aussenministerium gerade dabei, ein recht altes Thema wieder aufzuwärmen. Die wirklich wichtige Frage, ob nun die Paschtunen einer der Zehn verlorenen Stämme Israels sind oder nicht, soll jetzt durch ein hochtechnisiertes naturwissenschaftliches Forscherteam per DNA-Analyse endgültig geklärt werden. Geleitet wird dieses Projekt angeblich von einem israelischen Wissenschaftler, der mit “bahnbrechende[n] Entdeckungen in der Erforschung jüdischer Genetik” aufwarten kann und einer indischen Wissenschaftlerin, die sich in Bombay mit einem 600$ Stipendium an die Arbeit macht. Auch n-tv berichtete.

Natürlich stellt sich da die Frage, warum gerade jetzt dieses Problem gelöst werden soll? Nach Angaben der Jerusalem Post sollten so die Differenzen zwischen Muslimen und Juden überwunden werden. Oha! Aus verschwörungstheoretischer Perspektive ließe sich eine naturwissenschaftliche Bestätigung dieser seit jeher mit kräftig ideologischem Impetus diskutierten Abstammungsthese aber auch durchaus anders einsetzen.

“Seeing the circumstances, which caused the emergence of this theory, its inconsistencies, and the evidences of recent research, this theory seems least plausible. However, as a tool for political and cultural propaganda against Pakhtoons, this theory still holds much worth for vested quarters.”

Und das wäre in den Augen vieler bestimmt nicht das schlechteste Ergebnis, das man für schlappe 600$ im Monat erzielen kann.

Afghanistan nach der Wahl

Das weitgehend unabhängige Forschungszentrum AREU hat eine kleine aber feine Studie herausgegeben, in der sie der Frage nachgehen, haben die Wahlen und der sie begleitende Prozess eigentlich Karzais Legitimation geschadet? Sie kommt zu einem erstaunlichen Ergebnis:

Die Reputation Karzais in den Gemeinschaften, die wir unter die Lupe genommen haben, scheint kaum gelitten zu haben, jedenfalls viel weniger als das, was die jetzige internationale Presse suggeriert. Mit der Ausnahme einiger Tadschiken, die früher für Karzai stimmten, dann aber abgewandert sind zu Abdullah, gibt es eigentlich kaum größere Meinungsverschiebungen innerhalb des Wahlprozesses. Die meisten, die Karzai früher stützten, stützen ihn auch heute, diejenigen die ihn früher ablehnten, lehnen ihn nach wie vor ab und nutzen die Wahlen nur als einen weiteren Beweis seiner Probleme, ein Land zu führen.

Die meiste Kritik jedoch wurde an Karzais politischen Allianzen laut. Ein Wähler in Qarabagh meinte, “Sein Bruder ist der Führer aller Schmuggler und sein (Karzais) erster Assistent der Mafiakönig in Afghanistan.” Ein ander sagte: “Die Regierung Afghanistans ist in der Hand von Hinterhältigen, von Schmugglern, Dieben, und der Mafia.” Karzai wurde auch kritisiert wegen der Art seiner Beziehungen zum Ausland, dafür dass er kaum etwas gegen die sich häufende Anzahl von zivilen Opfern unternimmt, dafür dass er die konservativen religiösen Führer so stark kritisiert, was viele glauben nur auf Geheiß der Internationalen Gemeinschaft hin geschieht. “Wenn Karzai weiterhin seine frühere Strategie betreibt, dass ausländische Soldaten nicht zur Verantwortung gezogen werden, wenn sie sich an zivilen Leuten vergehen, und wenn Karzai weiterhin alle religiösen Führer Afghanistans ‘Al Qaeda’ nennt, dann wird seine Regierung noch schwächer.”

Andere haben weiterhin eine recht positive Meinung zu Karzai, weil dieser wenigstens etwas Stabilität und ökonomisches Wachstum bringen würde und vor allem, weil er bisher alle ethnischen Konflikte unterdrücken konnte. Einer drückte es so aus: “Die meisten sind hier für Karzai, weil dieser als ein Symbol der Vereinigung aller Ethnien Afghanistans gilt. Er ist der einzige, der Frieden und Sicherheit für Afghanistan bringen kann, da er mit allen Ethnien in gutem Kontakt steht.”

Soweit die Einschätzung des Forscherteams, dass sich in einigen Teilen Afghanistans unter den Leuten umgehört haben. Wie sie das angestellt haben, welche Methoden sie benutzen, damit ihre Studie nicht nur das Sammeln diverser Einzelmeinungen darstellt, der lese bitte in der nur 11 seitigen Studie selber nach.

Afghanistan und die deutschen Medien

In der taz erschien kürzlich in der Kolumne Marx 2.0 ein Beitrag von Joachim Lottmann, der das Versagen des deutschen Journalismus in der Berichterstattung über Afghanistan konstatiert.

Dazu passt auch ein kurzes Interview, das Ingeborg Baldauf, Professorin am Zentralasien-Seminar der Humboldt-Universität zu Berlin in Heft 173, Ausgabe 5 der SPW (Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft) gegeben hat.

Auf die Frage: Hat die NATO, hat Deutschland die Chance auf Anerkennung [in Afghanistan] nicht schon verspielt? ist in dem “Lösungen unterstützen die aus Afghanistan kommen” überschriebenen Interview folgendes zu lesen:

“I.B.: Nein, Anerkennung für den friedlichen Teil der Intervention ist weit verbreitet. Natürlich gibt es Leute, die gegen diese Form der Entwicklung sind und nicht wollen, dass ein breiterer Teil der Bevölkerung das Positive daran wahrnimmt und erlebt. Denn damit wäre evident, dass sie selbst nichts Positives leisten, sondern weiterhin Krieg spielen mit der Bevölkerung. Die Interventionisten tun das nicht, denn im Prinzip wird sehr, sehr viel geleistet. Besonders positiv erwähnenswert sind von deutscher Seite Aufforstungsprogramme, denn das ist nachhaltig. Wälder und Obstbäume sind als Lebensgrundlage und auch für weiter Verarbeitung durch Handwerk oder Brennmaterial dort seit dem frühen 20. Jahrhundert konsequent verloren gegangen. Solche Projekte können gar nicht hoch genug bewertet werden, doch in den hiesigen Medien und der allgemeinen Wahrnehmug scheint das Ganze mittlerweile völlig auf das Militärische reduziert zu sein.”

“Waskati” oder wie bekommt man einen Selbstmordattentäter?

[inspic=586,left,,300] Ahmad Shah Masud, der Löwe aus dem Panjirtal, war ihr erstes Opfer in Afghanistan. Selbstmordattentäter. Zwei als Journalisten getarnte Kämpfer der al-Qaeda sprengten sich am 9. September 2001 mit ihrer präparierten Fernsehkamera in die Luft und töteten so einen der damals mächtigsten Kriegsherren der sogenannten Nordallianz, die zu dieser Zeit nur noch einen winzigen Teil Nordostafghanistans kontrollierte. Diese Art des Anschlages, bei der der Tod des Attentäters von Beginn an als sicher vorausgesetzt wird, war relativ neu für Afghanistan.
Erst mit dem Einmarsch der Amerikaner und ihrer Verbündeten in Afghanistan 2002 und besonders seit dem wieder Erstarken des Antiamerikanischen und Antiwestlichen Widerstands im Jahr 2005 wurden Selbstmordattentäter zu einer allseits gefürchteten und kaum abwehrbaren Waffe. Seither gibt es für diese Selbstmordattentäter in Afghanistan auch eine Bezeichnung. Der Volksmund nennt sie “waskati”. Waskati sind die vor allem in Südafghanistan gerne über dem Beinkleid (shalwar kamis / pirahan-tomban) getragenen ärmellosen Westen. Gerne getragen bis 2005. Heute verlassen Afghanen lieber schnell die Orte, an denen jemand in diesem Aufzug auftaucht. Zu oft haben Menschen, die bereit waren ihr Leben zu opfern, den am Körper getragenen Sprengstoff unter diesen Westen verborgen.

Wer aber sind diese Selbstmordattentäter und wie kommen sie an ihren Auftrag? Continue Reading →

Die Wüstenoase Andkhoy und die Dürre in Afghanistan

Ein Beitrag von Olaf Günther

wasser_oase_andkhoy.jpg“Was braucht man, um in Zentralasien Landwirtschaft zu betreiben?” Diese scheinbar einfache Frage wurde vor Jahren einmal von unserem Lehrer an der Uni gestellt. Wir legten los: “Boden, Pflug, Eisenherstellung, Samen…?” Er schüttelte jedesmal den Kopf. Wir rätselten eine ganze Weile weiter, kamen aber nicht darauf. “Wasser!” war schließlich die Antwort. Wasser aber ist ein knappes Gut und in Afghanistan müssen Oasen mit kaum oder ganz ohne Wasser auskommen, da die Flüsse trocken sind und interregionale Wasserabsprachen flach fallen. “First come first serve” Mentalitäten setzten sich während des Bürgerkrieges durch. Die Dürre der vergangenen Jahre tut ihr übriges dazu. Eine dieser Oasen habe ich besucht, um herauszufinden, wie sich die Bewohner der Oase Andkhoy mit der Wasserknappheit arrangieren.

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Radio Arman.FM

arman_fm.jpgArman FM ist ein Radio aus Kabul, dass sich großer Beliebtheit bei der Jugend erfreut. Es sendet nach dem Geschmack einer zweisprachigen städtischen Jugend, die ebenso Pashto wie Persisch versteht. Der Tag beginnt bei ihnen mit einem hadiz. Der Tag wird bestritten durch Dj Shows, Spiele mit den Zuhörern und Studiogäste. Nach dem jukebox Prinzip rufen Leute an, äußern Musikwünsche und grüssen dabei auch gleich ihre Leute. Hört man diesem Radio ein paar Stunden zu, bekommt man einen guten Eindruck über den derzeitigen Musikgeschmack der Kabuler Jugend. Hier werden Remixes von Modern Talking genauso gefeiert wie Bollywood Filmmusik oder einheimische Stars der Popszene.

Sufi Poster Art in Pakistan

Ein Beitrag von Jürgen Wasim Frembgen

[inspic=580,left,,0] In Pakistan, dem zweitgrößten Land der muslimischen Welt und Kerngebiet des Sufismus (islamische Mystik), spielt die volkstümliche Verehrung charismatischer Heiliger eine außerordentliche Rolle. Zeitgenössische Poster-Porträts, die diese “Freunde Gottes” und ihre Mausoleen abbilden, sind wichtige Medien der Frömmigkeit. Im Gegensatz zur allgemeinen islamischen Vermeidung figurativer Darstellungen orientiert sich der lebendige Schrein-Islam Pakistans an Bildern. “Persönlichkeitsposter” berühmter Sufi-Heiliger sind konkrete bildliche Manifestationen, die heute in die Kultur des Massenkonsums eingebunden sind, aber dennoch ein reiches Archiv des visuellen Gedächtnisses bewahren.

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