Der Malang oder die Wunderkraft des Derwischmantels

Mazar aka, der Malang

Mazor aka, der Malang

Mazor aka gehörte zu meinen ersten Bekanntschaften in der Zigeunergruppe der Chaqon. Er war alt und hatte sich in jungen Jahren ein, zwei Mal beim Buzkashi, einem archaisch anmutenden Reiterspiel, das Bein gebrochen. Das machte ihn auf seine alten Tage zunehmend unbeweglich. So blieb er die meiste Zeit zu Hause und bewachte das Haus, in dem die Familie des Großen Ghulom wohnte.
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Kabul’s eleven

Eine tolle Geschichte; und eine traurige. Lesenswert allemal. Es geht dabei um die Veruntreuung – eigentlich um den Raub – von sage und schreibe neunhundert Millionen Dollar; oder mehr. Und das alles mit Hilfe einer Bank; der Kabul Bank und den mit ihr verbandelten Politikern und Geschäftsmännern aus dem Umfeld der amtierenden Regierung in Kabul.

Diese Geschichte passt recht gut zu unserem letzten post – sie bildet gewissermaßen den Gegenpol zu dem dort angeführten Beispiel einer positiven und angemessenen Zusammenarbeit.

Die Geschichte der Kabul Bank hingegen steht exemplarisch für das, was mit den Abermillionen US-Dollars, die seit 2001 nach Afghanistan gepumpt wurden bisher erreicht wurde. Der von Dexter Filkins kürzlich im newyorker publizierte Beitrag (s.o.) zeigt einmal mehr das Ausmaß der westlichen Fehlinvestition, bei der die Clique international gut vernetzter Geschäftsmänner und Politiker, auf die Amerikaner und deren Mitläufer ihre sogenannte Afghanistan-Strategie aufbauen, den Löwenanteil kassieren. Die am Geschäft beteiligten kriminellen Strukturen laufen quer durch alle Lager, der an den militärischen Auseinandersetzungen beteiligten Gruppen, und scheinbar wie selbstverständlich bis nach ganz oben in die politische Führung in Kabul.

Wieviel von den Mitteln, die eigentlich für den Aufbau des Landes vorgesehen waren und sind wieder zurück nach USA und Europa fließen – etwa in Form von Militärausgaben, Gehältern und Projektmittel für zweifelhafte Großbauprojekte – oder in derartigen EZ-Projekten in den afghanischen Sand gesetzt werden, sollte aber durchaus auch einmal beziffert und beschrieben werden. Aber das wäre wohl weniger spektakulär, als ein dreister Bankraub in Milliardenhöhe – und müsste ganz allein auf die eigene Kappe genommen werden.

Auf 430 Millionen Euro hat die Bundesregierung in einer Regierungserklärung die “zivilen Mittel” für Afghanistan für das Jahr 2010 veranschlagt – verbal verpackt in einen “Strategiewechsel… hin zu einem sehr viel stärkeren zivilen Engagement”. Bleibt abzuwarten, was und für wen diesmal dabei etwas rumkommt.

Die Balutschi-Akademie in Zarandsch – Ein Kurzportrait

baluchi-akw1 Seit 2010 gibt es in Zarandsch die Balutschi Akademie. Dieses zivilgesellschaftliche Projekt wurde auf Initiative von Mansur und Lutz Rzehak mit minimalem finanziellem Aufwand geplant und umgesetzt. Die Mittel für den Bau der Akademie wurden von Vertretern der Belutschen in Afghanistan und im Exil aufgebracht. So kann erfolgreiche Entwicklungszusammenarbeit in Afghanistan aussehen- kostengünstig und nachhaltig. Continue Reading →

“Schmutzfußland” – eine Filmempfehlung

Der etwas verspätete Start ins neue Jahr beginnt mit einem Hinweis auf eine sehenswerte Dokumentation aus dem Leben der deutschen und amerikanischen Soldaten in Afghanistan. Ashwin Raman, ein in Indien geborener Journalist, der sich auf Dokumentarfilme spezialisiert hat, besucht in seinem Beitrag “An Vordersten Fronten: Kriegsalltag in Afghanistan” – der in der ARD Mediathek versteckt ist – verschiedene deutsche und amerikanische Einheiten in Nord-, Ost- und Südostafghanistan.

Der etwas reißerische Titel sollte dabei nicht abschrecken. Dahinter verbirgt sich eine dreiviertel Stunde hervorragende Berichterstattung, die die Fragwürdigkeiten und Absurditäten des Kriegseinsatzes in Afghanistan in Bildern und Interviews erzählt. “Auf verlorenem Posten” hätte dem Inhalt des Films eher entsprochen. Aber dann hätte der Film wohl noch weniger Zuschauer erreicht. Ausgestrahlt wurde “An vordersten Fronten” von der ARD am 22.09.2010 um 0:00 Uhr. Es ist bezeichnend, dass in Deutschland ein Truppenbesuch mit Dame und Talkmaster medialen und öffentlichen Wirbel zur Hauptsendezeit erzeugt, während der Versuch, sich mit den Realitäten in Afghanistan auseinanderzusetzen eigentlich überhaupt nicht wahrgenommen wird (oder werden soll?). Ein Interview mit Raman zu seiner Arbeit an der Dokumentation ist hier zu lesen.

Zum Inhalt
Zu Beginn des Films begleitet Ashwin Raman die deutschen Soldaten auf Patrouillen und in den Lagern in Mazar-e Sharif, Kunduz und Chahaar Dara: Präsenz zeigen und Flugblätter kleben in den von den deutschen Soldaten “Schmutzfußland” genannten “feindlichen” Gebieten. Mit Jim Knopf und Karl May versucht die Bundeswehr und ihre jungen Soldaten in Afghanistan die sie umgebende Realität zu verarbeiten. Und auch die Amerikaner versuchen sich irgendwie im “Feindesland” einzurichten. Im Pech-River Valley in Kunar zeigt Raman eine amerikanische Einheit beim Versuch ihr gefährdetes Außenlager aus dem Talgebiet auf eine “sicherere” Anhöhe zu verlegen. Doch eigentlich ist die Truppe nur dabei, die von ihrer Anwesenheit provozierten Angriffe abzuwehren. In Peschawar und den Stammesgebieten auf pakistanischer Seite kommt dann auch kurz die “andere Seite” zu Wort. Wieder in Kabul besucht Raman gut gelaunte Gefangene im Gefängnis Pul-e Sharqi bei einer Koranschulstunde. Auch Abdul Salaam Zaeef, den ehemaligen Sprecher der Taliban, dessen Buch My Life with the Taliban kürzlich auf Englisch erschienen ist, lässt er zu Wort kommen. Kurz, knapp und überzeugend legt dieser das Dilemma des deutschen Militäreinsatzes dar. In Camp-Kandahar und in (Such)Einsätzen amerikanischer Einheiten in Helmand zeigt Raman dann noch einmal die Absurditäten und Grausamkeiten sowie die Aussichtslosigkeit des gesamten militärischen Unterfangens. Wer dabei ganz sicher auf der Verliererseite steht ist die Bevölkerung. In den letzten 10 Jahren haben vor allem die Menschen Afghanistans gelitten.

Auch manchen Soldaten “beschleicht der Verdacht, dass in Ihrem Kampf gegen die Taliban irgendetwas völlig schief läuft, und sie in Wahrheit nichts an den Zuständen hier ändern können” – die deutsche Afghanistan-Politik und den Sinn des Einsatzes mag dann folglich auch niemand offen kommentieren. Der Film, der mit der Ankunft zweier Bundeswehrsoldaten im Lager in Mazar begann, endet dann mit den Bildern vom “Hauptbahnhof Lummerland” und der Verabschiedung einer Gruppe von Soldaten aus einem Land, von dem in Deutschland auch zehn Jahre nach Kriegsbeginn leider noch immer so gut wie nichts bekannt ist.

jingle bells

Jetzt pfeifen es schon die Spatzen von den Dächern.
Patrick Cockburn veröffentlichte kürzlich einen lesenswerten Bericht im independent über die sich immer weiter verschlechternde Situation für die US-led coalition forces in Afghanistan und die gescheiterte amerikanische Militärstrategie. Bemängelt wird von Cockburn vor allem die Ausweitung der Kampfzone trotz oder wegen dem Fehlen jedweder politischer Strategie – hierin sieht er die Haupt-Parallele zu Vietnam: “The generals, diplomats, aid workers, security men and all the others who make up a sort of colonial elite in Kabul may be dancing on thinner ice than they imagine.”

Zwei kurze Visualisierungen, basierend auf den wikileaks afghanistan war-logs, stehen seit Juli 2010 auf youtube und verdeutlichen die Zunahme und Ausweitung des Widerstands zwischen 2004 und 2009. Die Anschläge mit improvised explosive devices kurz IEDs im selben Zeitraum kann man hier sehen. Die “Opferbilanz” weist 2010 bisher 702 getötete ausländische Soldaten auf. Etwa genau so viele wie zwischen 2001 und 2007. Laut iCasualities kamen bisher 2272 ausländische Soldaten in Afghanistan ums Leben, darunter 45 Bundeswehr-Soldaten. Wie viele afghanische Sicherheitskräfte und Zivilisten getötet wurden ist unklar.

Nach Kurzvisite mit Spielerfrau und Fernsehmoderator und einen Tag vor dem “Überraschungsbesuch” Angela Merkels – mit anschließenden Selbstmordattentaten in Kunduz und Kabul hatte auch die taz in dieser Woche eine Geschichte über die schwindende Zuversicht. Ines Pohl bekam als embedded-journalist überraschende Einblicke in den Alltag der jungen amerikanischen Soldaten. It’s a war, right.

Als letzten vorweihnachtlichen Happen aus dem Netz gibt es hier einen link zu thedailybeast und den verstärkten Bemühungen der Regierung Obama, die militärischen Anstrengungen an sogenannte military contractors auszulagern. Blackbird Technologies, Glevum Associates, K2 Solutions und ähnliche Firmen übernehmen immer mehr Aufgaben in Afghanistan. Tim Shorrock hat darüber auch ein Buch geschrieben Spies for Hire.

Das tethys-team wünscht allen Lesern und Mitstreitern ein geruhsames Weihnachtsfest.

Fotos aus dem Alten Afghanistan

In der Diskussion um die heutigen Zustände und Verhältnisse in Afghanistan vergißt man schnell die Vergangenheit oder holt ganz aus dem dunklen Vergangenen die Goldenen Zeiten hervor, die Mythen geschaffen haben und an der Gegenwart ausgestellt werden, wie eine Postkarte auf dem Flohmarkt.

Nur um ein paar Jahre zurück versetzt uns der New Yorker Künstler Fazal Sheykh mit seinen Bildern und Fotobüchern über verschiedene Länder. u.a. auch zweimal Afghanistan.

Wenn zwei Bullen kämpfen, bricht sich das Kalb sein Bein” handelt von Afghanischen Flüchtlingen in Pakistan zur Zeit der Mudschahedin.

Das zweite ist ein Buch, “Wenn der Sieger weint.” mit vielen Texten zur Situation Afghanistans 1996 mitten im Krieg der Mudschahedin.

Tolle Fotos und ein Blick in eine nicht allzuferne Vergangenheit — die hoffentlich nicht so bald wieder Zukunft wird.

Buddhisten bei Kabul

Die Mes Aynak Ausgrabungsstätte, wenige Kilometer von Kabul entfernt macht Schlagzeilen. Nicht so sehr wegen der Kriegssituation, sondern wegen seiner spektakulären buddhistischen Funde in der Nähe einer Chinesischen Kupfermine, die grosse Teile der Ausgrabungsstätte zerstören wird.

Die Funde wurden durch Minenarbeiter der Firma selbst vor einem Jahr gemacht. Darauf hin ließ die Firma diese Stelle durch ein paar Archäologen begutachten. Diese machten spektakuläre Funde und sicherten sich eine Ausgrabungszeit von 3 Jahre. Diese sind aber nach einem Jahr bereits abgelaufen. Die Archäologen beschweren sich, dass in China 3 Jahre schneller um sind, als in Frankreich, die Chinesen fahren wie so oft die Technik des Aussitzends auf. Wer sich ein paar Bilder zur Ausgrabungsstätte anschauen und den Bericht über die Ausgrabung vs Kupfermine lesen will, der gehe bitte in die Asien Gesellschaft (Asia Society). Dazu gibt es eine kleine Dia Show.

Radio im Verborgenen

Ein Beitrag von olim devona

Es ist Abend. Irgendwann im August 2010. Ich bin gerade in Mazar-e Sharif im Norden Afghanistans angekommen und habe hier nach längerem Suchen eine angenehme Bleibe gefunden. Nun leg ich mich aufs Hotelbett, zücke mein Mobiltelefon und schalte das Radio ein.

Automatische Sendewahl, denke ich mir. Mal sehen was so läuft:
88, 2, der erste Sender, indische Musik,
88.4, der zweite Sender, eher Musik aus der traditionellen afghanischen Ecke,
88.6 das nächste, turksprachige Programm, usbekische Musik.

Wow, denke ich, krasse Sendedichte. Das geht weiter so die gesamte Skale bis 106 hoch. Sender an Sender, und das in einer Stadt, die zwar die zweit oder dritt größte Stadt des Landes ist, in ihrer Bedeutung jedoch weit hinter Kabul zurücksteht. Continue Reading →

Schönheitsschule in Kabul

Selten liest man von einer gelungenen Idee, von einem gut gehenden oder gut gegangenen Projekt in Afghanistan. Nun hat mich eine Bekannte auf eine Seite aufmerksam gemacht, auf der Deborah Rodriguez von einem gemeinsamen Projekt mit Kabuler Frauen zu einem Friseursalon nebst Ausbildung berichtet. Gemeinsam mit afghanischen Frauen baute Deborah Rodgriguez dieses Projekt auf. Dinge die sie lernen musste: einen Friseursalon aufrechterhalten, wenn es keinen Strom oder kein heisses Wasser gibt. Dabei lernte sie in Afghanistan einen Bereich kennen, der fast 100 % Frauensektor ist und dazu Einnahmen verspricht, die Männer für ihre Arbeit kaum erhalten. Denn Friseure werden immer dann gebraucht, wenn geheiratet wird. Und wer heiratet, läßt schon mal ein paar Rupien springen, damit die Braut schön ist. Eine interessante grass root Geschichte ohne Antragstellung, ohne Evaluationsteam und vielleicht auf ihre Art auch wunderbar amerikanisch.

Eine spannende Diaschau zur Geschichte gibt es hier.

Einen kurzen Beitrag über ihre Arbeit hat ein amerikanischer Buchsender bereitgestellt.

Krieg verloren – Abzug – Aus?

Vor ein paar Tagen bin ich über einen interessanten Beitrag im Tagesspiegel gestolpert. Dieser Text hat auch einige Relevanz für Afghanistan oder wird diese spätestens mit dem Abzug der Natotruppen bekommen: Das Portrait des jungen Amerikaners Kirk Johnson und seinem “The List: Project to Resettle Iraqi Allies”. In Johnsons Liste sind noch über 3000 Iraker aufgeführt, die mit den Amerikanern kooperiert hatten und die seit deren Abzug von ihren vorherigen Auftraggebern im Stich und im Irak zurückgelassen wurden. Kirk Johnson setzt sich seit 2006 dafür ein, diesen Menschen ein amerikanisches Visum zu besorgen. Dabei sind diese 3000 nur ein kleiner Prozentsatz derjenigen Iraker, die in den Jahren des Irakkrieges im Dienste der Amerikaner standen.

Johnson geht davon aus, dass 2009 allein für das US-Verteidigungsministerium mehr als 36 000 Iraker im Irak arbeiteten. Diese und alle anderen “Kollaborateure” seien im Irak stark gefährdet und nach dem Abzug der Amerikaner gänzlich ungeschützt. Die Frage, die Kirk Johnson stellt, ist, ob die Kriegsführenden westlichen Nationen in Irak und in Afghanistan eine moralische Verantwortung gegenüber denjenigen Menschen haben, die für sie in der Zeit des Krieges gearbeitet haben.

In USA wurde Ende 2008 der “Refugee Crisis in Iraq Act” erlassen. Demnach sollen in den nächsten fünf Jahren 25.000 Visa für Iraker ausgestellt werden, die bei der Armee oder der Regierung angestellt waren oder direkt für diese gearbeitet haben.

Auch zu Afghanistan und den moralischen Verpflichtungen Deutschlands und der Bundesregierung hat Kirk Johnson, der derzeit als Bosch-Fellow an der American Academy in Berlin arbeitet, kürzlich einen Beitrag im Tagesspiegel veröffentlicht. Die fünf Kommentare (meist) entrüsteter Leser lassen ahnen, auf welch geringe Akzeptanz der Autor hierzulande mit seinen Forderungen stößt. Aber dennoch, in Bezug auf Afghanistan wird das Thema bald auf den Tisch kommen. 2011 soll ja der Truppenabzug beginnen.