tethys ist das Urmeer, das Meer der Geschichten, das aus Millionen von Erfahrungen menschlicher Kultur entstanden ist und nicht vergeht, so lange die Menschen aus diesem Reservoir schöpfen und ihr Leben damit gestalten. Sie sind Teil der Geschichten, weil sie diese in sich tragen, erneut anpassen, umändern und im Strom der Zeit ihre Geschichten dazugeben. Keine Theorie konnte sie je fassen, kein Gedanke sie allumfassend ordnen. Die Geschichten sperren sich dagegen, sie sind pralles Leben, dem Zugriff der Philosophie entzogen und doch sie ständig ernährend. So als sei eine mühsam in der Studierstube erdachte Ordnung nur ein Abfallprodukt eines Nährstoffes, der Jahrtausende überleben kann, ohne seine Kraft zu verlieren.
Es geht aber eine Gefahr von den Studierstuben aus, die sich gegen die stellen, die sich aus dem Meer von Geschichten ernähren. Sie wollen das Meer trocken legen, ihm seine diversen Kulturen entziehen, in dem sie sie negieren. Kultur ist für sie ein neues Wort für Ungleichheit und ungleich ist ihnen ein Dorn im Herzen. Sie wollen alle gleich haben, sie wollen sie alle gleich ihrem Ebenbild. Es ist die neue Kolonisierung, die neue Barbarei, die von der industriellen Welt ausgeht. Mit ihr spielen sich auch die Wissenschaften als Hüter der Normen und Ethik auf, einer Ethik, die ihrem Geist entsprungen, als Waffe eingesetzt wird. Stiftung Wissenschaft und Politik, Kulturaufmaß bei der Bundeswehr, vermeintliche Spezialisten in Presse und Rundfunk, Bundespräsidenten und Bürgerrechtler, sie schreien “Krieg!”, sie schreien “Nieder!” und richten ihre Waffen auf diejenigen, die aus menschlichen Erfahrungen handeln und nicht aus einem Programm der Übermacht heraus. Sie beschleunigen damit jedoch vor allem ihren eigenen Niedergang.
Sie wetzen die Waffen, nennen es nun Globalisierung, Demokratisierung, zwingen alle zu einer Sprache. Der Blick auf die Diversität menschlicher Gemeinschaften ist für sie der blanke Horror: Exotismus. Diversität ist für sie Mangel an Gleichheit, Unterschiede ergeben sich nur aus einem Mangel an Freiheit. Die Freiheit, die sie meinen, ist aber die Freiheit, ihr Denkmodell zu wählen, koloniales Gedankengut in neuem Gewand.
Wir, die Siedler am Rande von tethys halten die Farbenprächtigkeit der Diversität gegen all ihre graue Theorie, unsere Waffe sind die Geschichten, aus dem Urmeer tethys. Mit ihnen beleben wir die Welt, ohne die eiserne Elle des europäischen Meters, ohne die Wertung eines moralinsauren Weltverbesserers. Ruchlose Taten und ihre Folgen sehen wir überall auf der Welt: in Afghanistan, im Kosovo, im Irak, in Syrien… Wir werden nicht tatenlos zusehen, wie sie aufmessen, Flure bereinigen und ursprüngliche Diversität durch ihre Monokultur ausrotten… tethys, das Urmeer der Geschichten gilt es zu retten und mit ihm einen radikalen Narrativismus zu etablieren. Denn nur dieser schafft es, Komplexes, Verworrenes, Vielschichtiges zu transportieren. Die Lehren von tethys sind sanft, auf Erfahrungen gebaut, und doch so kraftvoll das ein radikaler Narrativismus es schaffen kann, gegen das Vordringen der Monokultur in Wissenschaft, Gesellschaft, Presse und Politik etwas entgegenzusetzen. Verweigert Euch den Theoretikern und erzählt Geschichten, bringt die Welt durch die Weisheit der Geschichten ins schwingen!
Unheilvolle Zeiten stehen uns sonst bevor!
Nachtrag
Oder so:
Das hier ist der erste Band der Istanbul-Enzyklopaedie … Dass Istanbul ein unendliches Meer von Details ist, habe ich begriffen als ich die Artikel in dieser Enzyklopaedie las. Und ich habe erkannt, dass ich mich von diesem Meer ernähren muss. Istanbul mit seinen Moscheen, Hochschulen, Schulen, Bibliotheken, Zentren der Sufi-Bruderschaften, Mausoleen, der Ayazma Moschee, den Quellen, Brunnen, Palästen, Sommerhäusern, Residenzen, Villen, Herbergen, Badehäusern, Theatern, Kaffeehäusern, Weinlokalen… (Orhan Pamuk auf arte)
Auf Zentralasien gemünzt, ist dies die Kurzform unserer Anliegen (siehe erster Absatz manifest).