Wo die Islamisten wohnen

Ein Beitrag von Wladimir Sgibnev

Im Herbst 2010 bot sich mir die einmalige Gelegenheit, das Dorf Chorkuh zu besuchen. Mit seinen etwa 30.000 Einwohnern liegt Chorkuh im südöstlichen Zipfel des tadschikischen Ferghana-Tals, 15 Kilometer südlich der Kreisstadt Isfara.

Kanal

Schule in Chorkuh – Alle Photos: querbeet aufgenommen von Aziz, Durdona, Nigora und dem Autor des Artikels

Dieser Winkel Tadschikistans ist dafür bekannt, dass der Islam hier besonders streng gelebt wird. Einer der Gründe dafür ist, so der Islamforscher Stéphane Dudoignon, dass Familien aus Chorkuh in den 1920er Jahren nach Saudi-Arabien ausgewandert waren und nach der Unabhängigkeit den strengen saudischen Islam in ihre Heimatdörfer importieren. Die sichtbarste Auswirkung dieser Entwicklung ist, dass, für Tadschikistan durchaus ungewöhnlich, keine einzige unverschleierte Frau auf der Strasse zu sehen ist. Auch Ganzkörperschleier sind keine Seltenheit. So besitzt das Gebiet zwischen Lakkon, Isfara und Chorkuh in der tadschikischen Presse den Beinamen “Islamisches Dreieck”. Continue Reading →

Der Malang oder die Wunderkraft des Derwischmantels

Mazar aka, der Malang

Mazor aka, der Malang

Mazor aka gehörte zu meinen ersten Bekanntschaften in der Zigeunergruppe der Chaqon. Er war alt und hatte sich in jungen Jahren ein, zwei Mal beim Buzkashi, einem archaisch anmutenden Reiterspiel, das Bein gebrochen. Das machte ihn auf seine alten Tage zunehmend unbeweglich. So blieb er die meiste Zeit zu Hause und bewachte das Haus, in dem die Familie des Großen Ghulom wohnte.
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Fotos aus dem Alten Afghanistan

In der Diskussion um die heutigen Zustände und Verhältnisse in Afghanistan vergißt man schnell die Vergangenheit oder holt ganz aus dem dunklen Vergangenen die Goldenen Zeiten hervor, die Mythen geschaffen haben und an der Gegenwart ausgestellt werden, wie eine Postkarte auf dem Flohmarkt.

Nur um ein paar Jahre zurück versetzt uns der New Yorker Künstler Fazal Sheykh mit seinen Bildern und Fotobüchern über verschiedene Länder. u.a. auch zweimal Afghanistan.

Wenn zwei Bullen kämpfen, bricht sich das Kalb sein Bein” handelt von Afghanischen Flüchtlingen in Pakistan zur Zeit der Mudschahedin.

Das zweite ist ein Buch, “Wenn der Sieger weint.” mit vielen Texten zur Situation Afghanistans 1996 mitten im Krieg der Mudschahedin.

Tolle Fotos und ein Blick in eine nicht allzuferne Vergangenheit — die hoffentlich nicht so bald wieder Zukunft wird.

NEU: Naturtrüber Apfelsaft aus Neustadt

Aus Duschanbe kommend, kurz vor der usbekischen Grenze, muss der Apfelsaftfreund in Neustadt (tad. Shahrinav) links abbiegen. Vorbei am Kulturhaus und einer ausgedienten Aeroflot-Maschine erreicht der Fruchtsaftliebhaber die Produktionsanlage der Natural Product GmbH. Begrüßt wird man vom 25-jährigen Firmeninhaber Iskandar Kholov, der vor vier Monaten aus dem mittelfränkischen Triesdorf nach Tadschikistan zurückgekehrt ist. Dort hat er an der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf einen Master in Internationalem Agrarmanagement abgeschlossen und seine Abschlussarbeit den Investitionsmöglichkeiten in die Fruchtsaftverarbeitung Tadschikistans gewidmet. Eine mittelständische Agrarfirma aus Deutschland konnte er von seiner Investitionsidee überzeugen und nun steht er vor seiner Fruchtsaftanlage, mit der seine 10 Mitarbeiter und er in den letzten drei Monaten bereits 70 Tonnen Apfelsaft gepresst haben.

Iskandar Kholv an seiner SaftproduktionsanlageIskandar Kholv an seiner Saftproduktionsanlage

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Radio im Verborgenen

Ein Beitrag von olim devona

Es ist Abend. Irgendwann im August 2010. Ich bin gerade in Mazar-e Sharif im Norden Afghanistans angekommen und habe hier nach längerem Suchen eine angenehme Bleibe gefunden. Nun leg ich mich aufs Hotelbett, zücke mein Mobiltelefon und schalte das Radio ein.

Automatische Sendewahl, denke ich mir. Mal sehen was so läuft:
88, 2, der erste Sender, indische Musik,
88.4, der zweite Sender, eher Musik aus der traditionellen afghanischen Ecke,
88.6 das nächste, turksprachige Programm, usbekische Musik.

Wow, denke ich, krasse Sendedichte. Das geht weiter so die gesamte Skale bis 106 hoch. Sender an Sender, und das in einer Stadt, die zwar die zweit oder dritt größte Stadt des Landes ist, in ihrer Bedeutung jedoch weit hinter Kabul zurücksteht. Continue Reading →

Schönheitsschule in Kabul

Selten liest man von einer gelungenen Idee, von einem gut gehenden oder gut gegangenen Projekt in Afghanistan. Nun hat mich eine Bekannte auf eine Seite aufmerksam gemacht, auf der Deborah Rodriguez von einem gemeinsamen Projekt mit Kabuler Frauen zu einem Friseursalon nebst Ausbildung berichtet. Gemeinsam mit afghanischen Frauen baute Deborah Rodgriguez dieses Projekt auf. Dinge die sie lernen musste: einen Friseursalon aufrechterhalten, wenn es keinen Strom oder kein heisses Wasser gibt. Dabei lernte sie in Afghanistan einen Bereich kennen, der fast 100 % Frauensektor ist und dazu Einnahmen verspricht, die Männer für ihre Arbeit kaum erhalten. Denn Friseure werden immer dann gebraucht, wenn geheiratet wird. Und wer heiratet, läßt schon mal ein paar Rupien springen, damit die Braut schön ist. Eine interessante grass root Geschichte ohne Antragstellung, ohne Evaluationsteam und vielleicht auf ihre Art auch wunderbar amerikanisch.

Eine spannende Diaschau zur Geschichte gibt es hier.

Einen kurzen Beitrag über ihre Arbeit hat ein amerikanischer Buchsender bereitgestellt.

Leuchtende Zukunft – Eine Bilderserie aus Tadschikistan

Ein Reportage von Wladimir Sgibnev

Am 12. April 2010, um drei Uhr nachmittags, wurde auf Befehl des Präsidenten die Werbekampagne für den Aktienverkauf des Wasserkraftwerks Roghun gestoppt. Mehrere Monate lang wurde die Bevölkerung Tadschikistans mit legalen, halb-legalen und illegalen Methoden angehalten, Aktien für den Staudammbau in Roghun zu zeichnen. Die Gründe für das Ende der Kampagne wurden nicht bekanntgegeben. Wahrscheinlich geschah es auf Druck des Internationalen Währungsfonds, welcher drohte, seine Projekte im Land einzustellen: die Folgen einer solch massiven Entnahme von Bargeld aus dem Wirtschaftskreislauf seien unvorhersehbar. Einer weiteren, sehr inoffiziellen Version zufolge kam des Ende der Kampagne, da die Regierungskreise eine Entwicklung nach dem kirgisischen Szenario befürchteten: hatten doch die blutigen Ausschreitungen des 7. Aprils, die zum Sturz des Bakiev-Regimes geführt hatten, ihren Ursprung ebenfalls in einer starken finanziellen Belastung der Familien in Kirgistan durch stark gestiegene Energiepreise, in Tadschikistan eben durch den Zwangserwerb der Roghun-Aktien.

Das offiziell verkündete Ende der Kampagne bedeutete aber keineswegs, dass der Zwang zum “freiwilligen” Aktienkauf nachgelassen hätte, dass auf einmal die Plakate verschwanden und die Werbesendungen eingestellt wurden. Roghun bleibt nach wie vor das beherrschende Thema in den Zeitungen und dem staatlichen Fernsehen, das ein Korrespondent in “Roghun TV” umgetauft hat:

Nachdem der Bau des Staudammes wieder aufgenommen wurde, und unser Präsident die Kampagne für den Aktienverkauf eingeläutet hat, sendet der Erste Kanal von morgens bis abends Reportagen und Berichte über die Entwicklung auf der Baustelle. Wahrscheinlich geschieht das auf Bestellung der Regierung oder der Leitung des Energieministeriums. Ich weiß es nicht genau, möglich ist es. Es erstaunt mich, mit welcher Sturheit, der Erste Kanal die Gehirne seiner Zuschauer “wäscht” (wahrscheinlich schaut es deswegen niemand mehr), mit den unaufhörlichen Bildern von der Baustelle und den wunderbaren Statistiken des Baufortschritts. Und all diese Sendungen werden von patriotischen Liedern untermalt. (…) Und wenn Roghun einmal fertig ist, was bekommen wir dann zu sehen? Sendungen, wie der Strom hergestellt wird? (Asia-Plus vom 19.05.2010)

Wie sichtbar das Wasserkraftwerk Roghun in Tadschikistan ist, soll anhand einiger Photos dargestellt werden. Und es gibt viel mehr davon – Bücher, T-Shirts, Aufkleber, Kugelschreiber sind noch nicht mitgezählt. Die Aufnahmen entstanden im Frühjahr und Herbst 2010 in Duschanbe, Khujand und der nordtadschikischen Kleinstadt Taboschar. Im Rest von Tadschikistan ist die Dichte der Roghun-Propaganda keineswegs geringer, denn der Staudamm begleitet einen im Land auf Schritt und Tritt.

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Zugvögel über Kabul

Ein Beitrag von Just Boedeker und olim devona

Als vor fünfzig Jahren ein Schwarm Zugvögel von Europa über Afghanistan hinweg nach Indien ziehen wollte, wurden einige von ihnen schon vorher müde und ließen sich in Afghanistan nieder. Bevorzugter Rastplatz von ihnen war Kabul. Diese Zugvögel waren alle Mitglieder einer glücklichen Generation, die im Schoße des Wirtschaftswunders aufgewachsen waren, deren Eltern noch die Wirren und Unwägbarkeiten des Weltkrieges erlitten hatten und ihren Kindern aber nur das Beste mitgeben wollten: eine gute Erziehung, ordentliche Bildung, den Glauben an Fortschritt und ein besseres Leben. Es waren diese kleinen Aufsteiger, die den Glauben der Eltern als Bedrängung empfanden, sich in Studentengruppen gegen die verkrusteten Hierarchien verbünden wollten und schließlich als die 68er Generation zweifelhafte Berühmtheit erlangen sollten.

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Für viele dieser vielleicht einzigen “glücklichen” deutschen Generation des 20. Jahrhunderts, deren Leben so ganz ohne biographische Brüche verlief (keine Weltwirtschaftskrise, keine Kriegserfahrungen, keine Honnecker Stagnation), war jedoch Behütetsein, Aufstiegseros und Wirtschaftswunder ein Graus. Sie wurden Aussteiger, die genug Geld hatten, die Welt zu bereisen. Sie hatten den Willen dazu, dieses Geld länger zusammenzuhalten, als es ihre Klassenkameraden und Studienkollegen taten, die mit dem Auto nach Norditalien reisten, um dort den Espresso auf den Piazzas zu schlürfen und sich Sommerfrischegeschichten von Tante Marta anzuhören. Das waren also die Zugvögel, die in den späten 1960er und 70er Jahren aufbrachen, um den Raum zwischen der Türkei und Indien oder sogar Indonesien zu bereisen. Viele nutzten dafür eigens gecharterte Space Buses mit denen unter den Einfluss verschiedener Substanzen die oft ebenfalls berauschenden Landschaften der Region durchquert wurden. Die Ziele hießen Kalkutta, Bombay oder Hyderabad und eine der berühmten Routen dieser Zeit waren die drei Ks: Kabul, Kalkutta und Kuta.
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