Ein unangenehmer Vorteil

Ein Beitrag von Lutz Rzehak

Das Gauhar-Shad-Mausoleum - Foto Lutz Rzehak (2005)

Das Gauhar-Shad-Mausoleum in Herat – Foto Lutz Rzehak (2005)

Reste blauer Fliesen an einer Kuppel aus gebrannten Ziegeln lassen den Glanz vergangener Zeiten erkennen. Immerhin: Das Gebäude steht noch. Die vier riesigen Minarette, die sich in unmittelbarer Nähe gekrümmt, aber hartnäckig gegen den Himmel strecken, als wolle jedes von ihnen dem schiefen Turm von Pisa seinen Ruf streitig machen, sind dagegen das einzige, was von der Moschee übrig geblieben ist, deren Ecken diese Minarette einmal säumten. Die Kuppel mit den Resten blauer Kacheln bedeckt das Grabmal jener Frau, die diese Minarette und die nicht mehr vorhandene Moschee vor mehr als einem halben Jahrtausend in Herat errichten ließ. Königin Gouhar Schad war eine Schwiegertochter Timurs des Lahmen und doch Großen. Aber nicht für weitläufige Feldzüge und kurzlebige Eroberungen, sondern für ihre außergewöhnliche Bautätigkeit wird diese Frau, deren Name “frohe Perle” bedeutet, als Bauherrin der architektonischen Perle Herat in froher Erinnerung behalten.

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Der Bücherretter

Dieser Beitrag lehnt sich an eine Publikation in der 1. Ausgabe der Zeitung Omuzgor-i javon vom 1. September 2014 – anlässlich des Tags des Buches, der in Tadschikistan immer am 4. September begangen wird. Der einseitige Artikel auf Seite 13 besteht aus einer kurzen biographischen Notiz und einem Gespräch, das M. Chodschaeva mit Zafar-i Dūst führte. Text und Übersetzung, Thomas Loy

Der Antiquar in seinem Laden im Kreise seiner Kunden

Der Antiquar in seinem Laden im Kreise seiner Kunden

Sucht man Zafar-i Dūst in Duschanbe, so findet man ihn von Montag bis Freitag von etwa 10 bis 14 Uhr in seinem “Bücherladen” unter freiem Himmel auf dem Gelände der Pädagogischen Universität. Der Laden besteht aus drei im halbrund unter Platanen angeordneten Bänken vor dem Gebäude der Abteilung für Fremdsprachen. Jeden Vormittag legt Zafar auf zwei dieser Bänke seine Bücher aus. Eine hält er frei – für sich und seine Kunden. Aber nur wenige setzen sich zu ihm. Die meisten seiner studentischen Kunden halten lieber Abstand zu dem hageren alten Herren. “Die besten Freunde des Menschen, nach Gott, dem Propheten und seinen Nachkommen, sind die Bücher” sagt er freundlich verschmitzt. Klar, dass die Studierenden von heute, die er mit Büchern aus zweiter und dritter Hand versorgt, den Alten eher kauzig finden, wie aus einer anderen Welt. Diejenigen, die sich doch zu Zafar setzen sind meist Dozenten oder Rentner, die mit ihm über Literatur reden wollen, über die Vergangenheit oder das Leben im Allgemeinen. Einige von ihnen kommen regelmäßig in den Laden – auf eine Tasse mit Zafar und seinen Büchern.

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Ishkashimi

Ein Beitrag von Nazar Nazarov

Ishkashim ist eine hochgelegene und schwer zugängliche Region im Hindukusch und Pamir. Ein Regierungsbezirk gleichen Namens gibt es sowohl auf der afghanischen wie auch auf der tadschikischen Seite des Pandsch.

Ishkashim

Straße bei Ishkashim, Tadschikistan – Foto: Karvovskaya

Seit dem Britisch-Russischen Grenzabkommen von 1895 bildet der Fluss Pandsch die Grenze zwischen dem Russischen und Britischen Einflussbereich und zerteilt damit die entlang dieses Flusses lebenden Sprachgemeinschaften (u.a. Shughni, Wachi, Ishkashimi). Auch heute bildet der Pandsch die Grenze zwischen Tadschikistan und Afghanistan (nach dem Zufluss des Vachsch im Flachland Südtadschikistans heißt der Pandsch dann Amudarja). Zu Zeiten der Sowjetunion war diese Grenze Sperrgebiet und praktisch nicht zu überwinden. Es waren zwei scharf voneinander getrennte Welten, deren Entwicklung bis zu Beginn des 21. Jhd gänzlich unterschiedlich verlief. Continue Reading →

Die mit den Flüssen tanzen, bede und boira im Ganges Delta

Ein Forschungsbericht von Olaf Günther, Mauritianum Altenburg

Bangladesh ist mit 161 Millionen Einwohnern eines der dichtbesiedeltsten Länder der Welt und Teil eines Wassersystems, das gemeinhin als Ganges Delta bekannt ist. Jedoch fließt hier nicht nur der Ganges in die Bucht von Bengalen, sondern zwei weitere, im Himalaya entspringende Flüsse, der Brahmaputra und der Meghna. Sie alle treffen an der Schnittstelle des indischen Subkontinents und des asiatischen Kontinents zusammen und bilden hier ein riesiges Delta. Über die Jahrtausende haben sie mit ihren Löß-, Sand- und Schlammmassen ein ins Meer vorgeschobenes Land erschaffen. Bei Ebbe fließt in vielen Kanälen des Deltas das Flusswasser meerwärts, bei Flut fließt das Seewasser landeinwärts. In der Regenzeit überschwemmen die Himalayaflüsse die Dörfer mit Wasser, in der Trockenzeit dominiert an vielen Orten das Meerwasser, was zu salzigem Trinkwasser führt.

Schaufelraddampfer aus Zeiten des British Empire, noch heute viel genutzt

Schaufelraddampfer aus Zeiten des British Empire, noch heute viel genutzt

Die Masse an Menschen, die ein Land bewohnen, das weniger als halb so groß ist wie Deutschland, sind ein deutliches Zeichen für die Fruchtbarkeit des Bodens dieses Deltas. Die Ernte wird jedoch auf einer sehr dynamischen und risikoreichen Grundlage erwirtschaftet, denn häufig werden aus Flusswassern reißende Ströme, die Inseln in der Größe einer Kleinstadt fortspülen können. In der Zeit der Cyclone wird aus dem Indischen Ozean ein durch reißende Stürme gepeitschtes Meer, das tief bis ins Landesinnere vordringt und Menschen, Felder, Wirtschaften und Behausungen wegschwemmt.

In der longue duree, also einem Zeitraum von 2.000-3.000 Jahren gesehen, ist der richtige Umgang mit dem Wasser, wesentlich für das Überleben der Deltabewohner. Auch in der lokalen Folklore kann man sehen, wie zentral das Wasser der Himalayaabflüsse für die Menschen im Delta ist. In den baor Liedern, den Bootsliedern der Fischer und Flussfahrer, in den Mythen und religiösen Geschichten, in der Personifizierung von Flüssen und Nebenarmen, die sich lieben, sich miteinander vereinen oder wieder entzweien ist das Wasser Motiv, Akteur oder Grundlage der Erzählung.

Über den langen Zeitraum von 2-3.000 Jahren können mit dem Wasser viele Wanderungsbewegungen von Menschen und Kulturen nachverfolgt werden. Im Delta verschwimmen die Grenzen. So führte z.B. die langsame Verlagerung des Flussbettes des Ganges in Richtung Osten auch zur Verlagerung des zentralen Siedlungsraumes von Westbengalen nach Ostbengalen. In die gleiche Richtung wanderten dann auch die mit den jeweiligen Menschen verbundenen Religionen, der Hinduismus oder später der Islam. Diese Bewegungen führten zu Vermischungen der beiden großen Religionen, hinzu kamen kleinere lokale Kulte. Viele der Heiligen werden heute als Helden in den beiden großen Religionen des Deltas verehrt und viele religiöse Mythen sind Teil der hinduistischen wie auch der islamischen Folklore.

Da alle Flüsse des Deltas vorher indisches Territorium durchqueren, hält neuerdings ein bestimmtes Thema die Menschen des Deltas fest im Griff. Es ist der Staudammbau auf der indischen Seite, der nicht nur der Energiegewinnung dient, sondern auch noch eine Reihe von Neuland- und Wüstenbegrünungsprojekte ermöglichen soll. Projektiert wurde der Staudamm schon in den 1950er Jahren. Ein Ziel war die Flutprävention im Delta. Die Folgen des Projektes sind jedoch negativ für die Deltabewohner. Einerseits halten die Dämme die Lössbestandteile des Wassers in den Stauseen fest. Dies führt zur Versandung der fruchtbaren Deltafelder. Andererseits kommt es durch das Abführen des Flußwassers für die Neulandgewinnung in Indien (Bihar) zu einem Wassermangel im Delta, der wiederum zum Verlanden der Kanäle führt, den bisher wichtigsten Verkehrswegen dort.

Diese veränderten Bedingungen im Delta fand ich vor, als ich mich auf die Suche nach den bede machte, einer indigenen Bootszigeunergruppe, die sich traditionell der ambulanten Heilung, Reparatur von Haushaltsgegenständen und dem Auffinden verlorener Wertsachen in Teichen widmet. Doch waren die bede nur ein Teil der mobilen Gruppen im Delta. Hier leben ebenso mobile Fischerfamilien (boira), deren Lebensmittelpunkt das Boot ist, Honigsammler, die Sammelexpeditionen in die Mangrovenwälder unternehmen, Sammler von Schilf (bowali) und anderem Flechtmaterial, die den Grundstoff der Matten aus den Deltawäldern in die Werkstätten der Schilfmattenflechter bringen, oder mobile Schweinezüchter (kowra), die in zyklischen Abständen die Deltadörfer besuchen und Schweine verkaufen. Diese alle haben ihre Mobilitätsmuster und verändern diese nach den aktuellen Begebenheiten. Mit zwei dieser Gruppen, den bede und boira, hatte ich engeren Kontakt, machte mit ihnen Interviews zu ihrer aktuellen Lebenssituation und konnte mit der Methode der oral history lebensgeschichtliche Gespräche führen.

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Kabul einmal anders

Vor kurzem veröffentlichte Friederike Böge in der faz einen sehr schönen Beitrag über Kabul. Und auch wenn die Autorin, die längere Zeit selbst in der Stadt lebte, einiges ausblendet und hin und wieder mit ihren Einschätzungen daneben liegt (“Bildnisse sind unter den Sunniten verpönt”?), zeichnet sie in ihrem Beitrag doch ein Portrait der afghanischen Hauptstadt, wie man es in deutschen Medien nur selten findet. Böge führt uns nach Westkabul und blickt aus der Dasht-e Barchi auf die fragmentierte Stadt. Eine weitere Geschichte aus der Dasht-i Barchi, das selten gemeint ist, wenn in den Nachrichten von “Kabul” die Rede ist, findet man hier bei uns.

und hier noch drei Bilder aus Dasht-e Barchi – bei Sonne, bei Regen und bei Schnee:
Dasht-i Barchi SonneDasht-e Barchi Regen Dasht-e Barchi bei Schnee

Iran Black Music

Wieder im Programm!!

dingomaro
  – Regie: Kamran Heidari (43 Min.)

Toller Film auf arte+7 über die Musik und Kultur der Nachfahren schwarzer Sklaven im Süden Irans.

Die Filmcrew folgt Hamid Said, einem der bekanntesten schwarzen Musiker im Iran, auf seinem Motorrad durch die Provinz Hormozgan. Er versucht schwarze Musiker für ein Konzert auf der Insel Hormuz zusammenzutrommeln.

Der Film läuft noch ein paar Tage auf arte+7

Diesmal
Nicht verpassen!!

 

Beobachtungen am Rande des mongolischen Wahlgeschehens

Ein Beitrag von Michael Angermann

Es ist der Vorabend der mongolischen Präsidentschaftswahl. Mit meiner schwedischen Mitstreiterin, Übersetzer und Fahrer stehen wir auf dem Rücken der Khankhukh-Bergkette auf über 2000 Meter Höhe, gut 1000 Kilometer westlich der Hauptstadt Ulaanbaatar und halten vergeblich Ausschau nach dem Aldar Bag – „Aldar“ heißt „berühmt“ und „Bag“ ist die kleinste administrative Einheit der Mongolei. Aldar Bag ist das nächstgelegene Wahllokal in unserem Einsatzgebiet als OSZE-Wahlbeobachter. Seine Berühmtheit versteckt diese administrative Einheit hinter grasüberzogenen Bergkuppen und sporadischen Baumsprengeln. Das mongolische Viehquartett: Kuh, Schaf, Ziege und Pferd hat bisher unseren Weg geziert. Ein Kamel überrascht uns im Lärchenhain. Wir stehen im Wald.

Suchbild: Kamel im Lärchenhain

Suchbild: Kamel im Lärchenhain

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Afghanistan: Innen und außen – ein Gespräch Teil2

Zeichnung einer Kalasha und ihres Sohnes 1991 - copyright Karl Wutt

Zeichnung einer Kalasha und ihres Sohnes 1991 – copyright Karl Wutt

Karl Wutt im Gespräch mit Christian Reder – Teil 2:

Das Gespräch über Afghanistan und das “was wir sehen” ist dem Buch AFGHANISTAN von innen und außen – Welten des Hindukusch (Springer Verlag 2010) entnommen. Wir drucken Teile dieses Gesprächs mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers Christian Reder auf tethys ab. Das Hauptaugenmerk des Bandes liegt auf den Pashai und den Kalasha, die Karl Wutt auf seinen Reisen nach Afghanistan und angrenzende Regionen seit den frühen 1970er Jahren immer wieder besucht, beschrieben und porträtiert hat.

“Afghanistan von innen und außen berichtet von vielschichtigen Erfahrungen im Land und subtilen Qualitäten, wobei ein weites kulturelles Umfeld einbezogen wird. Erzählungen, Porträts, Fotos wunderbarer Architekturen und Schnitzereien oder durch ihren Eigensinn faszinierende Zeichnungen machen Lebensweisen im Übergang von Tradition zu unabsehbaren Formen von ‘Moderne’ anschaulich.” (Klappentext)

Fortsetzung: Continue Reading →

Afghanistan: Innen und außen – ein Gespräch Teil1

Wutt_Afghanistan TitelAbseits der Hysterie und des Auf und Ab medialen Interesses an Afghanistan erschien 2010 ein Buch, das unserer Meinung nach bisher viel zu wenig Aufmerksamkeit erfuhr. Karl Wutt: Afghanistan von innen und außen – Welten des Hindukusch. Zu wenig Aufmerksamkeit? Verständlich, da Karl Wutt, der sich seit den frühen 1970er Jahren intensiv mit den Gesellschaften und Kulturen Afghanistans und Pakistans beschäftigt, noch immer einen unaufgeregten und sehr genauen Blick auf den Alltag, die Dinge und die Menschen dieser Region richtet und damit die Masse der kurzatmigen politisch und militärisch motivierten journalistischen und akademischen “Berichterstattung” des letzten Jahrzehnts unterläuft und desavouiert. Die Texte und die in den letzten 40 Jahren entstandenen Fotografien und Zeichnungen Wutts führen den Leser und Betrachter ein in die Lebenswelt der Paschai und Kalascha. Gleichzeitig reflektiert Karl Wutt stets seine Rolle als Reisender, Gast und Beobachter. Der von Christian Reder herausgegebene Gegenentwurf zu den medial vermittelten und zunehmend gröber gewordenen Eindrücken von Afghanistan bietet eine erfrischende und inspirierende Lektüre, vor allem für diejenigen, die etwas von fremden Kulturen verstehen wollen oder gar mit dem Gedanken spielen selbst etwas über fremde Welten schreiben zu wollen.

Wir veröffentlichen auf tethys in zwei Teilen das dieses Buch einleitende Gespräch des Herausgebers mit dem Autor. Warum? Weil es uns beeindruckt und wir hoffen, dass es unseren Lesern Lust macht auf mehr: Afghanistan von innen und außen.

Karl Wutt im Gespräch mit Christian Reder Continue Reading →