Sarvoda – eine Tadschikisch-Amerikanische “Kooperation” oder Kleine Kapitalismusschule

Tadschikisch Amerikanischer Handschlag
Tadschikisch-Amerikanischer Handschlag in Sarvoda; Photo Christine Barthelme 2010

Kurz nachdem man den Anzobtunnel in Richtung Ajni hinter sich gelassen hat durchquert man die kleine Siedlung Sarvoda. Hier, am Zusammenfluss von Yaghnob-Darja und Pasrud-Darja stehen noch die Reste einer Festung aus der Zeit Alexander des Großen. Zur Zeit der Sowjetunion war das daneben liegende Dorf zu einer modernen Bergbausiedlung ausgebaut worden, die nicht von Duschanbe aus verwaltet wurde, sondern direkt Moskau unterstand. Heute haben amerikanische Investoren alle Förderanlagen übernommen. Die Wohnblöcke der Arbeiter, die Sportanlagen, die Musikschule, die Heizkraftwerkruinen und das örtliche Kino aber rotten seit dem Ende der Sowjetunion vor sich hin. Continue Reading →

Zugvögel über Kabul

Ein Beitrag von Just Boedeker und olim devona

Als vor fünfzig Jahren ein Schwarm Zugvögel von Europa über Afghanistan hinweg nach Indien ziehen wollte, wurden einige von ihnen schon vorher müde und ließen sich in Afghanistan nieder. Bevorzugter Rastplatz von ihnen war Kabul. Diese Zugvögel waren alle Mitglieder einer glücklichen Generation, die im Schoße des Wirtschaftswunders aufgewachsen waren, deren Eltern noch die Wirren und Unwägbarkeiten des Weltkrieges erlitten hatten und ihren Kindern aber nur das Beste mitgeben wollten: eine gute Erziehung, ordentliche Bildung, den Glauben an Fortschritt und ein besseres Leben. Es waren diese kleinen Aufsteiger, die den Glauben der Eltern als Bedrängung empfanden, sich in Studentengruppen gegen die verkrusteten Hierarchien verbünden wollten und schließlich als die 68er Generation zweifelhafte Berühmtheit erlangen sollten.

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Für viele dieser vielleicht einzigen “glücklichen” deutschen Generation des 20. Jahrhunderts, deren Leben so ganz ohne biographische Brüche verlief (keine Weltwirtschaftskrise, keine Kriegserfahrungen, keine Honnecker Stagnation), war jedoch Behütetsein, Aufstiegseros und Wirtschaftswunder ein Graus. Sie wurden Aussteiger, die genug Geld hatten, die Welt zu bereisen. Sie hatten den Willen dazu, dieses Geld länger zusammenzuhalten, als es ihre Klassenkameraden und Studienkollegen taten, die mit dem Auto nach Norditalien reisten, um dort den Espresso auf den Piazzas zu schlürfen und sich Sommerfrischegeschichten von Tante Marta anzuhören. Das waren also die Zugvögel, die in den späten 1960er und 70er Jahren aufbrachen, um den Raum zwischen der Türkei und Indien oder sogar Indonesien zu bereisen. Viele nutzten dafür eigens gecharterte Space Buses mit denen unter den Einfluss verschiedener Substanzen die oft ebenfalls berauschenden Landschaften der Region durchquert wurden. Die Ziele hießen Kalkutta, Bombay oder Hyderabad und eine der berühmten Routen dieser Zeit waren die drei Ks: Kabul, Kalkutta und Kuta.
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Tadschikistan im Strudel der Unruhen

So jedenfalls lautet eine Schlagzeile der tadschikischen Zeitung Ozodagon vom 15. September 2010. Vier Tage später kamen in der Region Rascht, ca. 180 Kilometer östlich von Duschanbe, bei einem Angriff auf einen Militärkonvoi im Kamarobtal zwischen den Dörfern Schulmak und Schule mindestens 25 Soldaten ums Leben. Seitdem brodelt in Duschanbe die Gerüchteküche.

Fahndung im Stadtbus in DuschanbeFahndung nach den ausgebrochenen Gefängnisinsassen im Stadtbus in Duschanbe

Von einem heißen Sommer und Herbst in diesem Jahr munkelte man in Tadschikistan bereits seit längerem. Und nach dem spektakulären Ausbruch von über zwanzig Gefangenen aus einem Hochsicherheitsgefängnis des Staatlichen Komitees für Nationale Sicherheit in der Hauptstadt (Ende August), einem Selbstmordanschlag auf eine Station der Behörde für die Bekämpfung organisierter Kriminalität in Chudschand (Mitte September, der erste Selbstmordanschlag in Tadschikistan überhaupt) reißen auch in der tadschikischen Presse die Spekulationen darüber nicht ab, wer hinter diesen Taten steckt und welche Ziele eventuell damit verfolgt werden. Genaues aber weiß man nicht. “In Gharm wird gerade gekämpft” sagen die Leute auf der Straße. Die Zeitung Pajkon (22.09.) titelt “Ist in Gharm Krieg ausgebrochen?” Vorsichtshalber wurde die Stadtbevölkerung gebeten, nach 22 Uhr nicht mehr auf die Straßen zu gehen.

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Die Tragetasche Mittelasiens: Eine Liebeserklärung an A&C “AYGEN COLLECTION” STYLED IN ITALY

Ein Beitrag von Michael Angermann

Die Tragetasche in der TotaleDie Tragetasche im gebührenden Sonnenschein

Da hängt sie nun an einer kalten Hand irgendwo im winterlichen Kiew. Ihre Freunde sind weit weg. Die tummeln sich vornehmlich in Mittelasien. Wenig ist über sie bekannt. Ihr künstlerischer Geburtsort soll in Italien liegen, zumindest verkündet das die Aufschrift “Styled in Italy”. Eine italienische Schuhkollektion soll es ursprünglich gewesen sein. Die Betonung liegt auf “soll”. Ihre wahre Herkunft verschleiert sie. Die liegt wahrscheinlich ursprünglich in Tschirtschik bei Taschkent, doch heutzutage vor allem irgendwo im Reich der Mitte. Continue Reading →

Afghanistan kurz vor der Wahl

Ein Bericht von olim devona

Seit Wochen sind sie unterwegs, Autos mit Lautsprechern und Wahlkampfplakaten auf Dächern und an Fensterscheiben. Sie spielen entweder traditionelle Musik, spulen kurze Reden von Parlamentskandidaten ab oder lassen Parolen durch die Straßen schallen. Diese sind mit Wahlplakaten gepflastert, jeder Quadratmeter scheint besetzt.

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Kommenden Sonnabend werden in Afghanistan Parlamentswahlen abgehalten. Die Medien in Afghanistan berichten ständig darüber. Im Ausland scheint sich die Meinung etabliert zu haben, dass die Wahlen nur von pro westlichen Politikern ausgerichtet werden und eine große Gruppe bewaffneter Gruppierungen sie zu verhindern wünscht. Die Realität in Afghanistan ist jedoch weit davon entfernt, solch einem einfachen schwarz-weiss Muster zu folgen. Auch die Taliban schicken ihre Kandidaten ins Rennen.
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Keine Angst vor der Kabuler Universität

Ein Beitrag von Just Boedeker und olim devona

Ende August waren wir, zwei befreundete Ethnologen, an der Universität Kabul, um dort im germanistischen Seminar im Institut für Literaturwissenschaften mit den Studenten Konversationsübungen durchzuführen. Die Institute sind in einer wunderschönen Grünanlage verteilt, die in den 1960er Jahren mit amerikanischer Unterstützung angelegt wurde.

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Auf dem Campus bewegen sich die Studenten und Studentinnen in den unterschiedlichsten Erscheinungsformen; die Frauen bis auf einen Augenschlitz verschleiert oder vollkommen unverschleiert und körperbetont. Bei den Männern reicht das Spektrum von weiten “afghanischen” Hemden und Hosen bis zu knallbunter, westlich inspirierter Kleidung. In der Nähe des Instituts für Kunst, einem schönen von der pakistanischen Regierung gestifteten Bau ist die Dichte extravaganter Studenten wohl am größten. Weniger extravagant geht es am Institut für Islamisches Recht (shari’at) zu.

Die große Variationsbreite dieser Auftritte zeigt, wie sehr die Universität als ein sicherer und geschützter Raum wahrgenommen und von den Studenten zum Ausleben ihrer individuellen Vorlieben genutzt wird. Dass die Universität von Kabul als einer der sichersten Orte der Stadt gilt, hängt dabei nicht nur vom Sicherheitspersonal an den Eingängen der Universität ab. Die Soldaten an den drei Eingängen kontrollieren je nach Tagesform und -zeit sehr unterschiedlich: Manchmal wird keiner ohne Studentenausweis und Durchsuchung der Taschen (wofür sie sich allerdings entschuldigten) eingelassen; manchmal wird der Fluss der Studenten unkontrolliert eingelassen. Continue Reading →

Before Taliban

Eine Buchvorstellung von Th. Loy

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Vor den Taliban? So lautet der Titel eines der wohl lesenswertesten Bücher, das in den letzten Jahren zu Afghanistan herausgegeben wurde. Und es wurde viel herausgegeben in den Jahren seit 2001. (Alleine im Katalog der Berliner Staatsbibliothek sind unter dem Schlagwort “Afghanistan” 387 Bücher gelistet, die zwischen 2001 und 2010 erschienen sind; davon 217 auf Englisch und 81 auf Deutsch). Bezeichnenderweise wurde “Before Taliban” schon geschrieben, bevor die Taliban durch den Kriegszug der Amerikaner und ihrer Verbündeten von der Macht in Kabul verdrängt wurden. Das Buch wurde also geschrieben, bevor Afghanistan ein Topthema wurde und von Heerscharen selbsternannter Afghanistan-Experten in allen Medien, Genres und Gattungen niedergeschrieben wurde. Continue Reading →

Afghanistan – Berge im Licht

Text & Bilder: Steffen Graupner & Kathrin Münzel

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Durch die eisgepanzerte Bergwildnis zwischen Pamir, Hindukusch und Karakorum gab es für die südliche Seidenstraße nur einen einzigen Weg direkt nach China: Den Wakhan-Korridor. Über Jahrtausende hinweg war der Wakhan Handelsweg und Heerstrasse, ein archaischer Highway für Philosophie und Religion, Seide und Gold, Armeen und Entdecker. Grenzfluss und Pulsader dieses Hochtales ist der Oxus der alten Griechen, der heutige Amu Darja. Doch wo genau liegt die Quelle des mythischen Oxus? Continue Reading →

Viagra in der Warteschleife

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Eigentlich sollte sich diese Geschichte um Viagra und Afghanistan drehen. Ein Freund in Kabul hatte in Gegenwart eines Bekannten seinen Wunsch nach dem Potenzmittel geäußert und ich hatte von einem befreundeten Arzt ein Rezept für das Medikament bekommen. Mit Spannung wurde mein Bericht über die Übergabe dieses Gastgeschenkes und die Reaktionen darauf von meinem deutschen Bekanntenkreis erwartet. Ich wollte die Packung Viagra kurz vor meinem Abflug in Frankfurt besorgen. Continue Reading →

Wallfahrten zu arabischen Märtyrern in Kandahar

In Kandahar gibt es laut einem kurzen Filmbeitrag von BBC-Persian seit einiger Zeit einen neuen Wallfahrtsort, der von Menschen aus der Umgebung, aber auch aus anderen Landesteilen aufgesucht wird. Der Friedhof sieht aus wie die meisten anderen in Afghanistan. Nur liegen hier Personen begraben, die tausende Kilometer von hier geboren wurden und für den bewaffneten Dschihad auf Seiten der Taliban nach Afghanistan kamen. 110 arabische Märtyrer (Schahid) sollen hier begraben liegen. Sie alle kamen 2001 bei Bombardements der Amerikaner im Gebiet Kandahar ums Leben. “Täglich besuchen dutzende Personen, Männer und Frauen, diesen heiligen Ort um Gottes Segen zu erbeten, Heilung zu finden oder um die Erfüllung anderer Wünsche zu bitten – etwa den nach Kindern.”

Während orthodoxe Auslegungen des Islam in der Heiligenverehrung und der Wallfahrt eine Abweichung (schirk) sehen, erfreut sich diese Tradition besonders in Zentralasien großer Beliebtheit. Ziyorat – so nennt man den Besuch eines Heiligengrabes in Zentralasien – ist ein weit verbreitetes Phänomen und ein wesentliches Element des Islam in ganz Zentralasien. Gewöhnlich werden Orte besucht, die mit verehrten Persönlichkeiten des Islam in Verbindung gebracht werden (mit Mohammed, seinen Familienangehörigen und Nachfahren, den Propheten, Sufimeistern, Islamischen Gelehrten und anderen). Es werden aber auch andere Orte aufgesucht; etwa Quellen, Bäume und Berge, zu denen eine Vielzahl religiöser Geschichten und Überlieferungen existieren, denen ebenfalls eine spezielle Kraft nachgesagt wird und die eine vermittelnde Verbindung zwischen Gläubigen und Gott einnehmen können.