Der Aralsee. Gestern-Heute-Morgen.

Ein Beitrag von Jusup Kamalov

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Für uns, die Menschen, die am Aralsee im Zentrum einer ökologischen Katastrophe wohnen, scheint es immer so, als ob die ganze Welt das Aralseeproblem kenne und darüber schon alles gesagt sei. Leider ist es aber so, dass die Menschen außerhalb der ehemaligen UdSSR oder des Ostblocks wenig bis gar nichts vom Aralsee wissen, und auch in den Ländern Zentralasiens ist dies mittlerweile der Fall. Deshalb werde ich einiges über das Problem berichten, so als würde ich mich an einen ahnungslosen Leser wenden.

Der Aralsee liegt in Kasachstan und Usbekistan und war einer der größten Binnenseen der Welt. Dieser See und die beiden Flüsse, aus denen sich dieser Endsee speist (der Amu- und der Syrdarja) waren von hochrangiger Bedeutung für das Ökosystem und die Wirtschaft der gesamten Region Zentralasien. Heute ist davon kaum etwas übrig geblieben. Der Wasserspiegel des Aralsees ist um 20 Meter gesunken. Das Wasser hat sich dadurch 100 km von der ehemaligen Küstenlinie zurückgezogen. Die eigentliche Größe des Aralsees umfasste 65.000 Quadratkilometer. Bis in die 1960er Jahre des 20. Jahhunderts war der See somit so groß wie die Fläche der Niederlande und Belgien zusammengenommen. In den letzten 50 Jahren jedoch ist der See um ca. 70 % geschrumpft, und das Wasser geht weiter zurück. Der Salzgehalt des Seewassers hat 60 Gramm pro Liter erreicht. Die kleine Insel Vozrozhdenie (“Wiederauferstehung”) in der Mitte des Aralsees ist zur Halbinsel geworden, eine gefährliche Angelegenheit, da hier zu Sowjetzeiten ein Testgebiet für biologische Waffen existierte. Continue Reading →

Einer weniger auf der Liste – zum Tod von Mirzo Ziyoyev

Mit etwas Verspätung wollen wir heute auf einen Vorfall in Tadschikistan hinweisen, der die Machtbasis der Familie Rahmon(ov) weiter festigt und den Personenkreis möglicher politischer Widersacher weiter ausdünnt. Ferghana.ru berichtete am 14.07.2009 darüber -hier ist eine etwas erweiterte Zusammenfassung dieser Meldung.

Im Juli diesen Jahres kam auf bisher ungeklärte Weise der aus Tavildara stammende ehemalige Minister für Katastrophenschutz Mirzo Ziyoyev ums Leben. Die Aussagen der Regierung und von oppositioneller Seite stehen sich dabei diametral entgegen. Die Regierungsseite vermeldete, dass Ziyoyev, der 2006 vom tadschikische Präsidenten seines Ministeramtes enthoben wurde und seither in seiner Heimatregion als Unternehmer im Agrarsektor aktiv war, von oppositionellen Kräften erschossen wurde, die sich in ihren Bemühungen in der Region Tavildara die Macht zu übernehmen, von ihm verraten fühlten. Hingegen ist aus den Oppositionskreisen zu vernehmen, dass Ziyoyev von Staatsseite als Vermittler zwischen Regierung und Opposition gerufen wurde und daraufhin von Regierungsseite erschossen wurde.

Wie sich die Ermordung des noch immer einflussreichen Politikers tatsächlich vollzogen hat, wird wohl nicht so schnell (oder überhaupt nicht) zu klären sein. Soviel ist aber klar. Mit der Figur Ziyoyev verschwindet einer der letzten Widersacher und Machtgaranten Rahmonovs aus den Tagen des Bürgerkriegs von der politischen Bildfläche Tadschikistans. Widersacher und Machtgarant? Das ist in der Politik Tadschikistans keineswegs ein Widerspruch.

Mirzo Ziyoyev kämpfte mit seinen Männern bis zum Friedensvertrag von 1997 auf Seiten der Vereinigten Tadschikischen Opposition (VTO) gegen die von Emomali Rahmonov vertretene “Kulobi” Fraktion, die im Dezember 1992 in Duschanbe die Macht übernahmen. Bereits kurze Zeit später, Ende März 1993, wurden die beiden mächtigsten Figuren der Volksfront Tadschikistan, einer Vereinigung von Milizen und Akteuren aus den Regionen Hisor und Kulob, Sangak Safarov und Faizullah Saidov bei einem Treffen der militärisch/politischen Führungsspitze erschossen. Auch hier ist bis heute unklar, wer für die Tat verantwortlich war. Gerüchte gibt es viele. Eines davon bringt den erst kurz zuvor von Safarov und Saidov (und einigen anderen) an die politische Spitze gehobenen Emomali Sharipovitsch Rahmonov mit der Doppeltat in Verbindung. Dieser, so heißt es, begann bereits damals, Konflikte innerhalb der Volksfront sehr geschickt auszunutzen um seine Machtposition innerhalb der eigenen Reihen abzusichern und auszubauen.

Mirzo Ziyoyev ist nun einer der letzten Verbündeten aus alten Tagen, der aus dem Machtkreis ausgeschieden ist. 1998, nach dem Friedensvertrag zwischen der Regierung und der Opposition (unter Federführung von Emomali Rahmonov und dem 2005 verstorbenen Oppositionsführer Said Abdullah Nuri) war er es, der mit seinen Kämpfern den Umsturzversuch von Mahmud Khudoiberdiev, einem ehemaligen Verbündeten Rahmonovs in Nordtadschikistan niederschlug. Etwa 1000 Kämpfer unter Leitung Khudoiberdievs versuchten im November 1998 in einem Putschversuch von Uzbekistan aus Khujand einzunehmen. Khudoiberdiev, der sich in den Bürgerkriegsjahren als Verteidiger der Rechte der Uzbeken in Tadschikistan verstand, hatte sich aus Protest gegen die im Friedensvertrag von 1997 vorgesehene Regierungsbeteiligung der VTO von Präsident Rahmonov abgewandt und war mit seinen Anhängern und Kämpfern nach Uzbekistan abgewandert. Nach dem, gemeinsam mit Regierungstruppen unter Führung von Ghaffor Mirzoev und Suhrob Qosimov erkämpften Scheitern des Putschversuchs durch Khudoiberdiev (der sich seither Gerüchten zufolge wieder in Uzbekistan aufhält oder nach anderslautenden Meinungen bei den Kämpfen ums Leben gekommen ist) bekam Mirzo Ziyoyev ein eigenes Ministerium zugesprochen. De facto war das im Zentrum Duschanbes gelegene Ministerium für Katastrophenschutz eine schnelle Eingreiftruppe, die großteils aus alten Bürgerkriegskämpfern bestand, die unter dem direkten Befehl ihres alten Kommandeurs, dem neuen Minister, standen. Eine schlagkräftige Einheit und Machtbasis der Regierung Rahmonov, die neben und unabhängig von der tadschikischen Armee existierte.

Seit einigen Jahren nun entledigt sich der tadschikische Präsident Schritt für Schritt all der politischen Figuren, die ihm in seinem Machterhalt gefährlich werden könnten. Ehemaliger Mitstreiter und Helfer auf dem Weg nach oben zählen ebenso dazu wie alte Widersacher der Opposition. Eine “Schwarzliste” des Präsidenten findet sich ebenfalls im oben verlinkten Beitrag der Ferghana.ru:

Yakub Salimov, former Internal Affairs Minister and ex-Ambassador in Turkey, sentenced to 15 years of imprisonment (in 2005).
Gaffor Mirzoev, former Chief of Presidential Guard and the Director of the agency for the control of drug trafficking, sentenced to life imprisonment (in 2004).
Mahmadruzi Iskandarov, the leader of Democratic Party, former Oil and Gas Minister, sentenced to 23 years of imprisonment (kurz vor der Präsidentschaftswahl 2006).
Mahmadnazar Salihov, former Prosecutor General, former Internal Affairs Minister and Head of President’s office. According to official statement, he shot himself at the arrest (in June 2009).
Abdujalil Hamidov, former Head of Sogd Oblast, sentenced to 15 years of imprisonment (in 2000).
Suhrob Langariev, the brother of the National frontline leader Langari Langariev, sentenced to 18 years (in 2008).
Safarali Kenjaev, former Chairman of Supreme Council, the founder of National frontline, murdered (30 März 1999).
Habib Sanginov, former Deputy Internal Affairs Minister, murdered (11 April 2001).

Afghanistan und die deutschen Medien

In der taz erschien kürzlich in der Kolumne Marx 2.0 ein Beitrag von Joachim Lottmann, der das Versagen des deutschen Journalismus in der Berichterstattung über Afghanistan konstatiert.

Dazu passt auch ein kurzes Interview, das Ingeborg Baldauf, Professorin am Zentralasien-Seminar der Humboldt-Universität zu Berlin in Heft 173, Ausgabe 5 der SPW (Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft) gegeben hat.

Auf die Frage: Hat die NATO, hat Deutschland die Chance auf Anerkennung [in Afghanistan] nicht schon verspielt? ist in dem “Lösungen unterstützen die aus Afghanistan kommen” überschriebenen Interview folgendes zu lesen:

“I.B.: Nein, Anerkennung für den friedlichen Teil der Intervention ist weit verbreitet. Natürlich gibt es Leute, die gegen diese Form der Entwicklung sind und nicht wollen, dass ein breiterer Teil der Bevölkerung das Positive daran wahrnimmt und erlebt. Denn damit wäre evident, dass sie selbst nichts Positives leisten, sondern weiterhin Krieg spielen mit der Bevölkerung. Die Interventionisten tun das nicht, denn im Prinzip wird sehr, sehr viel geleistet. Besonders positiv erwähnenswert sind von deutscher Seite Aufforstungsprogramme, denn das ist nachhaltig. Wälder und Obstbäume sind als Lebensgrundlage und auch für weiter Verarbeitung durch Handwerk oder Brennmaterial dort seit dem frühen 20. Jahrhundert konsequent verloren gegangen. Solche Projekte können gar nicht hoch genug bewertet werden, doch in den hiesigen Medien und der allgemeinen Wahrnehmug scheint das Ganze mittlerweile völlig auf das Militärische reduziert zu sein.”

“Waskati” oder wie bekommt man einen Selbstmordattentäter?

[inspic=586,left,,300] Ahmad Shah Masud, der Löwe aus dem Panjirtal, war ihr erstes Opfer in Afghanistan. Selbstmordattentäter. Zwei als Journalisten getarnte Kämpfer der al-Qaeda sprengten sich am 9. September 2001 mit ihrer präparierten Fernsehkamera in die Luft und töteten so einen der damals mächtigsten Kriegsherren der sogenannten Nordallianz, die zu dieser Zeit nur noch einen winzigen Teil Nordostafghanistans kontrollierte. Diese Art des Anschlages, bei der der Tod des Attentäters von Beginn an als sicher vorausgesetzt wird, war relativ neu für Afghanistan.
Erst mit dem Einmarsch der Amerikaner und ihrer Verbündeten in Afghanistan 2002 und besonders seit dem wieder Erstarken des Antiamerikanischen und Antiwestlichen Widerstands im Jahr 2005 wurden Selbstmordattentäter zu einer allseits gefürchteten und kaum abwehrbaren Waffe. Seither gibt es für diese Selbstmordattentäter in Afghanistan auch eine Bezeichnung. Der Volksmund nennt sie “waskati”. Waskati sind die vor allem in Südafghanistan gerne über dem Beinkleid (shalwar kamis / pirahan-tomban) getragenen ärmellosen Westen. Gerne getragen bis 2005. Heute verlassen Afghanen lieber schnell die Orte, an denen jemand in diesem Aufzug auftaucht. Zu oft haben Menschen, die bereit waren ihr Leben zu opfern, den am Körper getragenen Sprengstoff unter diesen Westen verborgen.

Wer aber sind diese Selbstmordattentäter und wie kommen sie an ihren Auftrag? Continue Reading →

Die Wüstenoase Andkhoy und die Dürre in Afghanistan

Ein Beitrag von Olaf Günther

wasser_oase_andkhoy.jpg“Was braucht man, um in Zentralasien Landwirtschaft zu betreiben?” Diese scheinbar einfache Frage wurde vor Jahren einmal von unserem Lehrer an der Uni gestellt. Wir legten los: “Boden, Pflug, Eisenherstellung, Samen…?” Er schüttelte jedesmal den Kopf. Wir rätselten eine ganze Weile weiter, kamen aber nicht darauf. “Wasser!” war schließlich die Antwort. Wasser aber ist ein knappes Gut und in Afghanistan müssen Oasen mit kaum oder ganz ohne Wasser auskommen, da die Flüsse trocken sind und interregionale Wasserabsprachen flach fallen. “First come first serve” Mentalitäten setzten sich während des Bürgerkrieges durch. Die Dürre der vergangenen Jahre tut ihr übriges dazu. Eine dieser Oasen habe ich besucht, um herauszufinden, wie sich die Bewohner der Oase Andkhoy mit der Wasserknappheit arrangieren.

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In eigener Sache…

Für alle, die gestern auf ihren news reader starrten und entdecken mussten, dass eine ganze Menge alter Posts auf einmal mit einem neuen Datumsstempel versehen waren: Entschuldigung! Aber das Ganze ist leicht erklärt. tethys zieht nämlich um. Da aber mit dem Umzug eine Strukturveränderung einhergeht, denn wir werden in Zukunft auch größere Texte zur Verfügung stellen, müssen wir ein wenig basteln. Dazu kommt, dass die Art und Funktion des größer zu werdenden Projekts mit einer Diskussion einhergeht, die leider mit online Beispielen geführt werden muss. Da wir hier in der Stube keinen eigenen Testserver zu stehen haben, auf dem wir alles offline testen könnten und auf die Server unseres Providers angewiesen sind, heisst das für Euch Emailabbonenten und newsreader Leser leider: Der rumpelige Zustand, in dem es bei Euch im Briefkasten bebt, ist leider noch nicht vorbei. Das Gute daran ist: Wir rufen wie sonst keine Sommerpause aus… und: Es wird nicht langweilig. Also: deckt den Mantel der Guten Absicht darüber! Und: Einen schönen Sommer!

“Beyond The River” ends – vorerst?

Das Ende hatte sich bereits angekündigt. Der hervorragende, auf wenigen (zwei) Schultern lastende Zentralasien-blog “Beyond the River” hat im Juni 2009 seine Tätigkeit eingestellt. Ab jetzt soll getwittert werden. Der letzte post von Ian Chesley stammt vom März diesen Jahres. Eine Wiederaufnahme des blogs wird dabei nicht ausgeschlossen…

Wir berichteten über die ausgezeichnete Darstellung der Geschichten und Gerüchte, die sich um das Verschwinden des Schwagers von Emomali Rahmon und dessen Verbindungen zum Tadschikischen Aluminium-Unternehmen (TALCO) rankten. Im Frühjahr und Sommer und Herbst 2008 diskutierte Beyond the river die sich daraus möglicherweise ergebenden Auswirkungen auf den inneren Machtkreis – und damit direkt auf die Sicherheitslage – in Tadschikistan. Im Dezember 2008 wurde der arbeitsintensive und gut recherchierte blog auf einen Metablog umgestellt. Seither gab es keine eigenen Beträge mehr zu lesen, aber immerhin eine interessante Auswahl an Zentralasienrelevanten links und news im www.

Schade. Wir hoffen auf baldige Rückkehr!

Radio Arman.FM

arman_fm.jpgArman FM ist ein Radio aus Kabul, dass sich großer Beliebtheit bei der Jugend erfreut. Es sendet nach dem Geschmack einer zweisprachigen städtischen Jugend, die ebenso Pashto wie Persisch versteht. Der Tag beginnt bei ihnen mit einem hadiz. Der Tag wird bestritten durch Dj Shows, Spiele mit den Zuhörern und Studiogäste. Nach dem jukebox Prinzip rufen Leute an, äußern Musikwünsche und grüssen dabei auch gleich ihre Leute. Hört man diesem Radio ein paar Stunden zu, bekommt man einen guten Eindruck über den derzeitigen Musikgeschmack der Kabuler Jugend. Hier werden Remixes von Modern Talking genauso gefeiert wie Bollywood Filmmusik oder einheimische Stars der Popszene.

Sufi Poster Art in Pakistan

Ein Beitrag von Jürgen Wasim Frembgen

[inspic=580,left,,0] In Pakistan, dem zweitgrößten Land der muslimischen Welt und Kerngebiet des Sufismus (islamische Mystik), spielt die volkstümliche Verehrung charismatischer Heiliger eine außerordentliche Rolle. Zeitgenössische Poster-Porträts, die diese “Freunde Gottes” und ihre Mausoleen abbilden, sind wichtige Medien der Frömmigkeit. Im Gegensatz zur allgemeinen islamischen Vermeidung figurativer Darstellungen orientiert sich der lebendige Schrein-Islam Pakistans an Bildern. “Persönlichkeitsposter” berühmter Sufi-Heiliger sind konkrete bildliche Manifestationen, die heute in die Kultur des Massenkonsums eingebunden sind, aber dennoch ein reiches Archiv des visuellen Gedächtnisses bewahren.

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Das Volk, das tanzt und singt…

Steht man vor dem Kashgar Hotel und blickt in die Stadt, sieht man als erstes eine kleine Statuengruppe, ein Mann in der Uniform eines Bauern und eine Frau, sie tanzen… Darunter steht, die “Uighuren, ein Volk der Tänzer” oder so ähnlich.

uighur_dance.jpgDie Folklorisierung von Minderheiten ist eine beliebte Minderheitenpolitik, das ist aus der Sowjetunion ebenso bekannt, wie der Umgang der Deutschen mit den Sorben. Nun hat EuriasiaNet ein Spezial zum Thema Musik und Kultur in Xinjiang herausgebracht, dass sich sehen lassen kann: keine vereinheitlichende Pauschalexotisierung, ohne jede (post-) kolonialen Vereinnahmungsversuche. Wie denn auch, sind ja keine Chinesen… Dabei haben sie auch gleich ihre Webseite aufgehübscht. So ist eine sehr schöne online Ausgabe eines Magazins zu der Kultur der Uighuren herausgekommen. Unbedingt lesenswert.

Weitere Links zum Thema auf tethys:

moderne Musik

Religion der Uighuren