‚Die Wand‘ – Europapremiere in Berlin

Ein Beitrag von Caroline Bunge
mit Fotos von Thomas Etzold

DieWand _ Foto: Thomas Etzold

‘DieWand’, Foto: Thomas Etzold

Anlässlich der Europapremiere von ‚Die Wand‘ von und mit Tahera Hashemi, die unter der Regiemitarbeit von Nela Bartsch am 28.02.2016 im Rahmen von ‚War Zones: Berlin-Kabul‘, einer Produktion von suite42 im BallhausOst, Berlin-Prenzlauer Berg stattfand, traf ich vor wenigen Tagen die junge afghanische Regisseurin und Schauspielerin Tahera Hashemi zu einem Interview. Continue Reading →

Trauerzeremonien (Sugwari) – Im Monat Muharram in Buchara und Samarkand

Ein Beitrag von Massud Hosseinipour
(aus dem Persischen übersetzt von Th. Loy)

Trauerprozession und Selbstgeißelung in Buchara vor 95 Jahren (aus O. Suchareva: "Buchara im 19. Und frühen 20. Jahrhundert".

Trauerprozession und Selbstgeißelung in Buchara vor 95 Jahren (aus O. Suchareva: “Buchara im 19. Und frühen 20. Jahrhundert”.

Ein viertel Jahrhundert ist seit dem Fall des Eisernen Vorhangs und dem Untergang der Sowjetunion mittlerweile verstrichen. Aber die Eroberung Mittelasiens durch das Russländische Reich, die in der Folge davon gezogenen politischen und ethnischen Grenzen und 70 Jahre bolschewistische und sowjetische Herrschaft haben tiefe Spuren hinterlassen und zwischen uns (Iranern) und unserer anderen, mittelasiatischen Hälfte einen bis heute kaum überbrückbaren Graben gezogen. Wir hören zwar unsere Stimmen, aber klar sehen können wir uns bis heute nicht. Städtenamen wie Buchara, Samarkand und Chudschand versetzen uns (Iraner) in Verzückung und auch ihre Augen leuchten, wenn von Iran die Rede ist. Sie wollen mehr über uns und unsere Geschichte in Erfahrung bringen, und auch wir wollen wissen, was ihnen widerfuhr und heute widerfährt. Doch oft genug bleibt undurchdringlicher Nebel.
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Views from a School Window

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Emilia Roza Sulek

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During my fieldwork in 2014, I lived in a school compound in one of the few towns in my research region. ‘Development’ in this part of China meant that roads got a new surface, party buildings a new lustre of glass panels, and streets new lamps and other ‘accessories’ such as street signs, now available also in English. It also meant that hospitals moved to better-equipped buildings and schools grew in size. They grew not only in terms of the number of classrooms, but also other facilities, including apartments for school personnel. Almost all teachers lived within this ‘gated community’. They did not pay rent and their life was cheaper than on the other side of the ‘bars’. Continue Reading →

“Säuberungswelle” in vollem Gang

Opposition wird in Tadschikistan nicht geduldet. Nachdem in den letzten Jahren immer wieder ehemalige Verbündete und Gegner aus Bürgerkriegszeiten durch das in Duschanbe herrschende Regime Emomali Rahmons verhaftet, bedroht, zu langen Freiheitsstrafen verurteilt, militärisch bekämpft oder unter ungeklärten Umstanden ums Leben gekommen sind, spitzt sich seit einigen Wochen die politische Lage im Land weiter zu. Seit den Parlamentswahlen im März gerät die Partei der Islamischen Wiedergeburt (PIW) und damit die letzte im Land verbliebene Oppositionspartei und deren Mitglieder immer weiter unter Druck.
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Tadschikischer Oppositioneller ermordet

Nur eine Woche nach der Ermordung Boris Nemtsovs in Moskau wurde am 5.03.2015 in Istanbul der tadschikische Oppositionelle Umarali Quvvatov von einem Unbekannten auf offener Straße, vor den Augen seiner Frau und seiner beiden Söhne, mit einem Kopfschuss getötet. Anders als beim russischen Oppositionspolitiker und Kremlkritiker landete die Ermordung des 47-jährigen Quvvatov jedoch nicht in den deutschen Hauptnachrichten. Continue Reading →

Fitrats kleine Kapitalismusschule 2

From-the-Ruins
Abdurrauf Fitrat gehört zu den eher weniger bekannten asiatischen Kritikern des westlichen Imperialismus, die, inspiriert vom Sieg der Japaner über das zarische Russland 1905, zur Feder griffen, um ihre Gesellschaften aufzurütteln und aufzubegehren gegen die europäische Übermacht. „The early men of modern Asia“ schreibt Pankaj Mishra in seinem faszinierenden Buch From the Ruins of Empire über genau diese Aufklärer “travelled and wrote prolifically, restlessly assessing their own and other societies, pondering the corruption of power, the decay of community, the loss of political legitimacy and the temptations of the West.” Sie alle stehen am Beginn des Erwachens der asiatischen Welt. Von Ägypten über den Iran und Indien bis China und Japan reagierten junge Intellektuelle des frühen 20. Jahrhunderts mit einem ähnlich angelegten Programm. Continue Reading →

Fitrats kleine Kapitalismusschule

1991 ist der Kommunismus mit dem Ostblock untergegangen. 2008 starb der Kapitalismus. Als ich ein junger Student der Wirtschaftswissenschaften war, gab es einen großen Streit zwischen den Sozialisten, die an eine zentrale Planwirtschaft glaubten und den Hayekianern, oder Liberalisten, die auf das Wunder des Marktes setzten. Die Befürworter der Marktwirtschaft argumentierten, dass der Kapitalismus ein evolutionärer Kampf sei, in dem die Stärksten siegen und die Schwächeren, die weniger produktiv und profitabel sind untergehen … die Rettungspakete die für die Banken nach 2008 geschnürt wurden, waren so etwas wie umgekehrter Darwinismus. Je erfolgloser die Banker und je größer die Verluste ihrer Bank waren, desto größer war auch die Unterstützung von Seiten der Steuerzahler, und desto erfolgreicher wurde dem Rest der Gesellschaft das Geld aus der Tasche gezogen.
(Yanis Varoufakis, 2014, Der Kapitalismus (4/6) 47:00-48:20, arte)

110es Geburtsjubiläum Abdurauf Fitrats 1996

Briefmarke zum 110. Geburtsjahr ‘Abdurauf Fitrats im Jahr 1996

Gut 100 Jahre früher machte sich in Buchara ein junger Intellektueller ebenfalls Gedanken über den Kapitalismus, der, in Gestalt des zarischen Russlands dabei war, die Gesellschaft seiner Heimat zu zerstören. Im Jahr 1913 veröffentlichte  ‘Abdurauf Fitrat zwei theoretische Essays in der Zeitschrift Āʿīna. Diese wurde in den Jahren 1913 bis 1915 von Mahmud Xo’ja Behbudi in Samarkand herausgegeben. In “Der Profit” und in “Das Leben und das Ziel des Lebens” beschäftigt sich Fitrat mit den Grundlagen und Besonderheiten der menschlichen Gesellschaft. Den Lesern und Hörern präsentiert Fitrat in den beiden Essays eine auf europäischen Theorien beruhende Entwicklungstheorie, die sich von den traditionell in diesem Raum herrschenden Vorstellungen von Welt deutlich unterschied. Die einer Gesellschaft zu Grunde liegenden Mechanismen stellte er dabei als allgemein gültig, wissenschaftlich erklärbar und rational nachvollziehbar vor. An der Richtigkeit und Notwendigkeit dieser Herangehensweise gab es für Fitrat keinen Zweifel. Durch Überzeugungsarbeit sollte der für nötig erachtete strukturelle Wandel der islamischen Gesellschaft in Buchara und Russisch Turkestan initiiert und die Menschen dieser Region auf die veränderten Rahmenbedingungen der neuen Epoche vorbereitet werden.
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Ein unangenehmer Vorteil

Ein Beitrag von Lutz Rzehak

Das Gauhar-Shad-Mausoleum - Foto Lutz Rzehak (2005)

Das Gauhar-Shad-Mausoleum in Herat – Foto Lutz Rzehak (2005)

Reste blauer Fliesen an einer Kuppel aus gebrannten Ziegeln lassen den Glanz vergangener Zeiten erkennen. Immerhin: Das Gebäude steht noch. Die vier riesigen Minarette, die sich in unmittelbarer Nähe gekrümmt, aber hartnäckig gegen den Himmel strecken, als wolle jedes von ihnen dem schiefen Turm von Pisa seinen Ruf streitig machen, sind dagegen das einzige, was von der Moschee übrig geblieben ist, deren Ecken diese Minarette einmal säumten. Die Kuppel mit den Resten blauer Kacheln bedeckt das Grabmal jener Frau, die diese Minarette und die nicht mehr vorhandene Moschee vor mehr als einem halben Jahrtausend in Herat errichten ließ. Königin Gouhar Schad war eine Schwiegertochter Timurs des Lahmen und doch Großen. Aber nicht für weitläufige Feldzüge und kurzlebige Eroberungen, sondern für ihre außergewöhnliche Bautätigkeit wird diese Frau, deren Name “frohe Perle” bedeutet, als Bauherrin der architektonischen Perle Herat in froher Erinnerung behalten.

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Die mit den Flüssen tanzen, bede und boira im Ganges Delta

Ein Forschungsbericht von Olaf Günther, Mauritianum Altenburg

Bangladesh ist mit 161 Millionen Einwohnern eines der dichtbesiedeltsten Länder der Welt und Teil eines Wassersystems, das gemeinhin als Ganges Delta bekannt ist. Jedoch fließt hier nicht nur der Ganges in die Bucht von Bengalen, sondern zwei weitere, im Himalaya entspringende Flüsse, der Brahmaputra und der Meghna. Sie alle treffen an der Schnittstelle des indischen Subkontinents und des asiatischen Kontinents zusammen und bilden hier ein riesiges Delta. Über die Jahrtausende haben sie mit ihren Löß-, Sand- und Schlammmassen ein ins Meer vorgeschobenes Land erschaffen. Bei Ebbe fließt in vielen Kanälen des Deltas das Flusswasser meerwärts, bei Flut fließt das Seewasser landeinwärts. In der Regenzeit überschwemmen die Himalayaflüsse die Dörfer mit Wasser, in der Trockenzeit dominiert an vielen Orten das Meerwasser, was zu salzigem Trinkwasser führt.

Schaufelraddampfer aus Zeiten des British Empire, noch heute viel genutzt

Schaufelraddampfer aus Zeiten des British Empire, noch heute viel genutzt

Die Masse an Menschen, die ein Land bewohnen, das weniger als halb so groß ist wie Deutschland, sind ein deutliches Zeichen für die Fruchtbarkeit des Bodens dieses Deltas. Die Ernte wird jedoch auf einer sehr dynamischen und risikoreichen Grundlage erwirtschaftet, denn häufig werden aus Flusswassern reißende Ströme, die Inseln in der Größe einer Kleinstadt fortspülen können. In der Zeit der Cyclone wird aus dem Indischen Ozean ein durch reißende Stürme gepeitschtes Meer, das tief bis ins Landesinnere vordringt und Menschen, Felder, Wirtschaften und Behausungen wegschwemmt.

In der longue duree, also einem Zeitraum von 2.000-3.000 Jahren gesehen, ist der richtige Umgang mit dem Wasser, wesentlich für das Überleben der Deltabewohner. Auch in der lokalen Folklore kann man sehen, wie zentral das Wasser der Himalayaabflüsse für die Menschen im Delta ist. In den baor Liedern, den Bootsliedern der Fischer und Flussfahrer, in den Mythen und religiösen Geschichten, in der Personifizierung von Flüssen und Nebenarmen, die sich lieben, sich miteinander vereinen oder wieder entzweien ist das Wasser Motiv, Akteur oder Grundlage der Erzählung.

Über den langen Zeitraum von 2-3.000 Jahren können mit dem Wasser viele Wanderungsbewegungen von Menschen und Kulturen nachverfolgt werden. Im Delta verschwimmen die Grenzen. So führte z.B. die langsame Verlagerung des Flussbettes des Ganges in Richtung Osten auch zur Verlagerung des zentralen Siedlungsraumes von Westbengalen nach Ostbengalen. In die gleiche Richtung wanderten dann auch die mit den jeweiligen Menschen verbundenen Religionen, der Hinduismus oder später der Islam. Diese Bewegungen führten zu Vermischungen der beiden großen Religionen, hinzu kamen kleinere lokale Kulte. Viele der Heiligen werden heute als Helden in den beiden großen Religionen des Deltas verehrt und viele religiöse Mythen sind Teil der hinduistischen wie auch der islamischen Folklore.

Da alle Flüsse des Deltas vorher indisches Territorium durchqueren, hält neuerdings ein bestimmtes Thema die Menschen des Deltas fest im Griff. Es ist der Staudammbau auf der indischen Seite, der nicht nur der Energiegewinnung dient, sondern auch noch eine Reihe von Neuland- und Wüstenbegrünungsprojekte ermöglichen soll. Projektiert wurde der Staudamm schon in den 1950er Jahren. Ein Ziel war die Flutprävention im Delta. Die Folgen des Projektes sind jedoch negativ für die Deltabewohner. Einerseits halten die Dämme die Lössbestandteile des Wassers in den Stauseen fest. Dies führt zur Versandung der fruchtbaren Deltafelder. Andererseits kommt es durch das Abführen des Flußwassers für die Neulandgewinnung in Indien (Bihar) zu einem Wassermangel im Delta, der wiederum zum Verlanden der Kanäle führt, den bisher wichtigsten Verkehrswegen dort.

Diese veränderten Bedingungen im Delta fand ich vor, als ich mich auf die Suche nach den bede machte, einer indigenen Bootszigeunergruppe, die sich traditionell der ambulanten Heilung, Reparatur von Haushaltsgegenständen und dem Auffinden verlorener Wertsachen in Teichen widmet. Doch waren die bede nur ein Teil der mobilen Gruppen im Delta. Hier leben ebenso mobile Fischerfamilien (boira), deren Lebensmittelpunkt das Boot ist, Honigsammler, die Sammelexpeditionen in die Mangrovenwälder unternehmen, Sammler von Schilf (bowali) und anderem Flechtmaterial, die den Grundstoff der Matten aus den Deltawäldern in die Werkstätten der Schilfmattenflechter bringen, oder mobile Schweinezüchter (kowra), die in zyklischen Abständen die Deltadörfer besuchen und Schweine verkaufen. Diese alle haben ihre Mobilitätsmuster und verändern diese nach den aktuellen Begebenheiten. Mit zwei dieser Gruppen, den bede und boira, hatte ich engeren Kontakt, machte mit ihnen Interviews zu ihrer aktuellen Lebenssituation und konnte mit der Methode der oral history lebensgeschichtliche Gespräche führen.

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Kabul einmal anders

Vor kurzem veröffentlichte Friederike Böge in der faz einen sehr schönen Beitrag über Kabul. Und auch wenn die Autorin, die längere Zeit selbst in der Stadt lebte, einiges ausblendet und hin und wieder mit ihren Einschätzungen daneben liegt (“Bildnisse sind unter den Sunniten verpönt”?), zeichnet sie in ihrem Beitrag doch ein Portrait der afghanischen Hauptstadt, wie man es in deutschen Medien nur selten findet. Böge führt uns nach Westkabul und blickt aus der Dasht-e Barchi auf die fragmentierte Stadt. Eine weitere Geschichte aus der Dasht-i Barchi, das selten gemeint ist, wenn in den Nachrichten von “Kabul” die Rede ist, findet man hier bei uns.

und hier noch drei Bilder aus Dasht-e Barchi – bei Sonne, bei Regen und bei Schnee:
Dasht-i Barchi SonneDasht-e Barchi Regen Dasht-e Barchi bei Schnee